Mosbach/Rhein-Neckar, 28. Dezember 2012. (red/pro) Aktualisiert. Die von ihren Eltern per privater Vermisstenanzeige gesuchte 17-jährige E. ist heute am Nachmittag wieder “aufgetaucht” und nach Auskunft der Polizei wohlbehalten zurück. Aus polizeilicher Sicht wurden die Vermisstensuche sowie weitere Ermittlungen eingestellt, wie die Polizeidirektion Mosbach auf Nachfrage unserer Redaktion mitteilte.
Ursprünglicher Artikel:
Mosbach/Rhein-Neckar, 27. Dezember 2012. (red/pro) Seit ein paar Tagen kursiert ein “Fahndungsfoto” einer 17-Jährigen in Facebook. Die Eltern des Mädchens melden die Tochter seit dem 25. Dezember 2012 als vermisst, geben eine Personenbeschreibung und fordern Zeugen auf, ein Privathandy oder die Polizei in Buchen zu kontaktieren. Aus Sicht der Polizei ist das mindestens eine “unglückliche Aktion”.
Von Hardy Prothmann
Eltern vermissen ihre Tochter. Seit drei Tagen. Die Tochter ist 17 Jahre alt. Die Mutter und der Lebensgefährte melden die Tochter als vermisst. Es gibt keine Hinweise auf eine Gefahr für Leib und Leben. Die Polizei reagiert, wie sie reagieren muss. Sie nimmt die Anzeige auf, die Streifen werden Ausschau halten. Sollte es Hinweise geben, wird denen nachgegangen.
“Wir sitzen nicht untätig rum.”
Den Eltern erscheint das nicht ausreichend. Die Tochter sei zwar schon zwei Mal über Nacht weggeblieben, aber nur über eine Nacht. Sie habe kein Geld, das Handy sei aus. “Da kann was nicht stimmen und wir sitzen nicht untätig rum”, sagt der Lebensgefährte auf Nachfrage. Die Polizei nehme das nicht ernst genug.
Haben die Eltern aber über die Folgen nachgedacht. “Wir müssen was tun”, ist die Antwort. Man habe schon alle Freunde abtelefoniert – E. sei unauffindbar: “Wir hoffen so sehr, dass nichts passiert ist.”
Tausende wissen jetzt, die E. hat Probleme.
“Passiert” ist definitiv etwas: Es wurde eine Öffentlichkeit hergestellt, dass die 17-jährige E. vermisst ist. Über die Folgen der “Aktion” scheint man sich aber nicht wirklich im Klaren zu sein. Das Foto der vermissten E. kursiert im Netz. Alle können es sehen: Freunde, Schulkollegen, Lehrer, Arbeitskollegen, Arbeitgeber. Je nach Vernetzung können das mehrere tausend oder sogar zehntausende Menschen sein. (Stand: 27. Dezember 2012, 16:30 Uhr, 8.194 Mal geteilt, 22:15 Uhr, 13.34 Mail geteilt.) Und alle, die sie kennen oder später wiedererkennen, wissen nun: Das ist doch die E., die Weihnachten zuhause abgehauen ist. Vermutlich gibt es da Probleme oder die hat Probleme. Welche auch immer.
Ausreißer gibt es immer wieder.
Aus Sicht der Polizei ist die Aktion der Eltern “unglücklich”, sagt Polizeisprecher Rüdiger Bäuerlein auf Nachfrage. “Das Mädchen ist vorher schon mal aufgefallen. Das kommt immer wieder vor, dass in dem Alter mal jemand ein paar Tage wegbleibt. Diese Öffentlichkeit ist aus unserer Sicht nicht hilfreich.”
Ganz im Gegenteil ist ein massiver Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der jungen Frau gegeben. Sie ist weder prominent, sondern eine Privatperson. Ob die Eltern darüber nachgedacht haben?
Bislang sind bei der Polizei in Buchen auch keine Hinweise eingegangen. Dafür aber jede Menge Anfragen, Privatleute und Medien erkundigen sich, ob die Vermisstenanzeige echt ist. Hinweise hat niemand. Typischerweise melden Zeugen auch ohne Facebook-Aufruf verdächtige Beobachtungen. In Zusammenhang mit einem 17-Jährigen Mädchen liegt aber im Bereich Mosbach nichts vor.
Privates Aktenzeichen XY?
Der Aufruf erinnert ein wenig an eine Art privates “Aktenzeichen XY ungelöst”. Typischerweise landen aber hier die Fälle, bei denen die Polizei als letzte Konsequenz eine große Öffentlichkeit beschließt, weil alle anderen Fahnungswege keine Erfolge gebracht haben. Was viele nicht wissen – insbesondere bei Tötungsdelikten liegt die Aufklärungsquote auch ohne Öffentlichkeit bei über 90 Prozent, die von Sexualstraftaten mit Todesfolge bei über 80 Prozent.
Vermutlich wird die junge Frau bald wieder auftauchen. Und tausende von Menschen haben die Zeit ihres Verschwindens mitbekommen. Auch Personen, die vielleicht darauf aus sind, exakt solche Fälle zu suchen und auszunutzen. Auch die haben einen klaren Hinweis erhalten, dass hier Probleme vorgegeben sind – wie gesagt, welche auch immer.
Der Lebensgefährte der Mutter zeigt keine Zweifel, dass die Aktion richtig war. Hindern kann die Polizei die Eltern nicht, das Privatleben in dieser Form öffentlich zu machen. Ob Eltern oder andere Personen, die jemanden suchen, gut beraten sind, dies über Vermisstenanzeigen bei Facebook zu tun, darf angesichts der Nachteile klar bezweifelt werden. Die Polizei hat mit den Eltern deswegen schon ein Gespräch geführt – das aber scheint an der Haltung nichts geändert zu haben.
Wir sind übrigens über einen Facebook-Kontakt aus Weinheim auf die Vermisstenanzeige aufmerksam geworden.
Anm. d. Red.. Wir veröffentlichen auf Wunsch der Polizei immer wieder Fotos von Vermissten, auch schon von Leichen zur Feststellung der Identität oder von gesuchten Verdächtigen. Die Polizei wählt die Veröffentlichung als letztes Mittel – insbesondere bei verwirrten oder kranken Personen, bei denen akute Gefahr für Leib und Leben besteht, wenn gar keine Identifizierungsmerkmale vorliegen oder wie im Fall eines mutmaßlichen Sexualstraftäters das Leben eines Kindes in Gefahr war. Sobald die Fälle “gelöst” sind, löschen wir die Fotos wieder.