Rhein-Neckar, 27. Juni 2013. (red/pm) Oft leiden Menschen unter arbeitsbedingten Krankheiten. Doch auf der Kehrseite erkranken auch immer mehr Menschen an ihrer Arbeitslosigkeit. Deswegen hat das Jobcenter Rhein-Neckar-Kreis ein wohnortnahes Angebot entwickelt, das den Betroffenen schnelle und umfassende Hilfe bieten soll.
Information des Landratsamtes Rhein-Neckar:
“Die Medien berichten über arbeitsbedingte Erkrankungen, Stress, und psychische Belastungen am Arbeitsplatz. Wie sieht die Situation auf der anderen Seite, bei arbeitslosen Menschen aus? Wirkt sich die Arbeitslosigkeit auf ihre Gesundheit aus? Macht Arbeitslosigkeit krank?
Im Rhein-Neckar-Kreis haben nicht wenige Arbeitslose im Betreuungsbereich des Jobcenters gesundheitliche Einschränkungen, die sich direkt auf die Vermittlung in Arbeit auswirken. Sie haben schlechtere Eingliederungschancen als gesunde Arbeitssuchende und bleiben dadurch länger arbeitslos. Dies führt zu einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustands.
Mögliche individuelle Folgen sind psychische, körperliche oder soziale Probleme wie Rückzug, Isolation, verringertes Selbstwertgefühl, Suchtverhalten, Resignation und vermehrte Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, wobei zwischen den genannten Folgen ein enger Zusammenhang bestehen kann.
Um diesen Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit und Krankheit zu durchbrechen, hat das Jobcenter Rhein-Neckar-Kreis mit Unterstützung des Europäischen Sozialfonds und in Kooperation mit dem Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis sowie drei regionalen Trägern ein wohnortnahes Angebot entwickelt, das den Betroffenen schnelle und umfassende Hilfe bieten soll.
Diese Hilfe können Betroffene bei den Trägern Berufsbildungswerk Neckargemünd, Internationaler Bund und VBI Verein zur Beruflichen Integration an den Standorten Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Schwetzingen und Weinheim in den Projekten ‚ArgeS – Arbeit im gesunden System‘ finden.
Dem Arbeitsalltag annähern
Ziel der Unterstützung ist dabei nicht unbedingt der sofortige Eintritt in ein Arbeitsverhältnis; vielmehr soll sich der Arbeitslose in kleinen, realisierbaren Schritten an den Arbeitsalltag annähern mit dem langfristigen Ziel einer möglichen Arbeitsaufnahme.
Der Gesundheitszustand steht bei der Projektarbeit im Vordergrund. Dabei handelt es sich in der Regel um komplexe Problemstellungen, die von schwerwiegenden Beeinträchtigungen bis hin zu alltäglichen Kleinigkeiten reichen und alleine nicht bewältigt werden können.
Zur Entwicklung von Perspektiven und Lösungsstrategien werden die vorhandenen Strukturen der regionalen Anbieter im Sozialraum der Betroffenen genutzt, um ein stabiles Unterstützungsnetzwerk für die Zukunft zu schaffen.
Die Projektarbeit erfolgt durch Einzelberatungen und Gruppenarbeiten mit Präsenztagen beim Projektträger, bei Bedarf auch zu Hause beim Teilnehmer. Gemeinsam werden Ziele sowie Teilziele besprochen und Aufgaben verteilt – was ist trotz gesundheitlicher Einschränkungen möglich, welche Therapien sind passend, welche gesundheitsfördernden Maßnahmen können initiiert werden? Aktive Mitarbeit der Teilnehmer und realistische Vorstellungen von der Zukunft sind gefordert, um eine gesundheitliche Stabilisierung und die Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen.
Das Leiden des Herrn B.
Beispiel: Herr B. ist 45 Jahre alt, gelernter Maurer und seit 7 Jahren arbeitslos. Er wohnt noch bei seiner Mutter, lebt zurückgezogen und ist sozial isoliert. Nach einer Bandscheibenoperation vor 3 Jahren ist sein linkes Bein taub, das rechte Bein schmerzt aufgrund falscher Belastung und Übergewicht. Seit über 2 Jahren ist Herr B. auf der Suche nach einer geeigneten Behandlungsform. Er hat verschiedene Ärzte aufgesucht, Behandlungsempfehlungen entweder nicht angenommen oder gleich wieder abgebrochen.
Stattdessen sucht er Rat beim nächsten Arzt und lässt sich starke Schmerzmittel verschreiben. Herr B. wird immer unzufriedener. Die Wut über die Ausweglosigkeit lässt er zu Hause raus, ein anderes Ventil hat er nicht. Durch die gemeinsame Arbeit im Projekt ArgeS erhält Herr B. Unterstützung und Halt, um zielgerichtet seinen Alltag bewältigen zu können. Er hat eine Elektrotherapie begonnen, deren Termine von den Projektmitarbeitern überwacht werden.
An Projekttagen kann Herr B. seine Belastbarkeit und den Umgang mit anderen Teilnehmern testen. Er hat einen Grund die Wohnung zu verlassen und seiner Isolation zu entkommen. Die nächsten Ziele sind eine Vorstellung in einem Baumarkt zur Prüfung seiner Einsatzmöglichkeiten sowie die Besprechung der Wohnsituation mit möglichen Alternativen.
Ein weiteres Beispiel
Beispiel: Frau K. zeigt sich sehr motiviert bei ihrer Aufnahme in das Projekt. Sie lebt mit ihrem Mann, der starke Alkoholprobleme hat und ebenfalls arbeitslos ist, in einer gemeinsamen Wohnung. Sie ist selbst seit 2 Jahren arbeitslos. Vor 30 Jahren hat sie eine Ausbildung zur Industriekauffrau absolviert, anschließend zur Kosmetikerin und danach eine Ausbildung in der Altenpflege; es folgten ein Unfall und Burnout mit einem längeren Kuraufenthalt.
Frau K. kann zwar nicht mehr in der Altenpflege arbeiten, möchte aber für ein Medizin- oder Pharmaunternehmen Sekretariatsarbeiten erledigen. Frau K. war schon aktiv im Bewerbungsprozess und stand kurz vor einem Vorstellungsgespräch. Da sie vor dem Gespräch panische Angst hatte, wollte sie dieses bereits absagen. Durch intensive Vorbereitung auf ein Bewerbungsgespräch im Rahmen des Projekts nahm sie diese Hürde und erhielt daraufhin eine Zusage für einen Arbeitsvertrag. Nach dieser positiven Rückmeldung traten wieder massive Ängste auf, verbunden mit Visionen des Mobbings im neuen Betrieb.
Erneut stand eine Absage im Raum. Durch gemeinsam erarbeitete Verhaltensstrategien wurde Frau K. ein Handlungsspektrum für eventuelle Angriffe aufgezeigt und sie konnte damit die Arbeit aufnehmen. Frau K. findet weiterhin im Projekt Unterstützung und Rat, wenn sie mit anfänglichen Situationen in der neuen beruflichen Umgebung nicht zurechtkommt. Darüber hinaus haben die Projektmitarbeiter mit Frau K. das Alkoholproblem ihres Mannes und ihr Umgang damit thematisiert. Ein Psychologe des „ArgeS“-Projekt berät sie in Einzeltherapie. Ihrem Mann wird sie empfehlen, einer Selbsthilfegruppe beizutreten.
Wer aus dem Kreislauf von Krankheit, Beschwerden, Hilflosigkeit und Arbeitslosigkeit nicht allein herauskommt, kann sich an das zuständige Jobcenter wenden und Rat suchen. Die Unterstützung erfolgt wohnortnah.”