Mannheim, 25. April 2015. (red/cb) Am vergangenen Samstag präsentierte das Nationaltheater Mannheim die deutsche Erstaufführung von „Du Hitler“ im Studio des Nationaltheaters. Vor vier Jahren hat der Regisseur Kristo Šagor das Stück geschrieben und versucht das Verhalten des monströs scheinenden Diktator Adolf Hitler durch seine Jugend zu erklären. Ob das überhaupt möglich ist, bleibt dabei allerdings offen.
Von Carolin Beez
Dein Vater ist gestorben, Du bist 13.
Mit diesem Satz beginnt das Stück von Kristo Šagor „Du Hitler“. Die Stimme kommt aus dem Zuschauerraum, doch den Sprecher kann man nicht sehen. Er steht unter der Tribüne. Für das Publikum kommt sie aus dem Nichts. Die Stimme spricht zu einem Mann. Er steht allein auf der Bühne und wird durch einen hellen Scheinwerfer angestrahlt. Er schaut verängstigt. Die Stimme stellt ihm bedrückende Fragen, macht ihm Vorwürfe.
Heute ist dein Vater gestorben, feierst du jetzt eine große Party? Bist du froh, dass er tot ist? Du bist dreizehn – genießt du jetzt dein Leben?
Dann sind es mehrere Stimmen, die immer weiter auf den Mann einreden. Immer wieder macht der auf der Bühne den Mund auf, als wollte er etwas auf die Provokationen erwidern, doch dann zieht er sich wieder zurück.
Gewaltphantsien, Homosexualität und Kontrollzwang
Die drei Schauspieler, zu denen die menschenlosen Stimmen gehörten kommen unter der Tribüne hervor und gehen nach vorn. Nacheinander stellen sie sich vor. Alle drei werden von ihren eigenen Zwängen gequält. Der Mann der von Anfang an auf der Bühne stand ist Frank Hüggel. Er ist Leherer. Doch beim Korrigieren von Klassenarbeiten bekommt er Gewaltphantasien, die ihn nicht mehr los lassen.
Ein weiterer Mann heißt Mario Gastler, er masturbiert vor dem Fernseher. Er kann sich nicht entscheiden, ob er schwul ist oder nicht. Die Frau auf der Bühne ist Jessica Stahl. Sie muss alles genau kontrollieren, zum Beispiel wie viel ihr neuer Babybruder täglich wächst – wozu gibt es Überwachungskameras.
Dabei überlegt sie sich oftmals, wie es wohl sei, wenn er tot wäre. Und der vierte ist Johannes Bender. Er rast im Rauschgefühl über die Landstraße, unhaltbar und ohne einen Sinn für die Gefahr. Aber was hat das alles mit Hitler zu tun?
Das Leben des jungen Adolf Hitlers
Geschrieben hat der Regisseur sein Stück vor vier Jahren in Linz. Es war eine Auftragsarbeit, die das Leben des jungen Adolf Hitler beleuchten sollte. Vergangenen Samstag erlebte das Stück dann seine deutsche Erstaufführung im Studio des Nationaltheater Mannheim – der Autor persönlich führt dabei Regie.
Doch in dem Stück wird keine Biographie erzählt oder der junge Adolf Hitler gezeigt, stattdessen präsentiert Kristo Šagor vier verschiedene Charaktere, die darüber diskutieren sollen. Darüber, wie man so werden kann, was einen dazu bewegt, was in der Kindheit falsch gelaufen sein muss, um zu einem solchen Monster zu werden.
Jeder Satz sitzt perfekt
Die vier Personen auf der Bühne haben alle ihre ganz eigenen Probleme und leben ihre zwanghaften, verklemmten und teilweise sadistischen Seiten aus. Immer wieder ziehen sie selbst ihre Schlüsse oder vergleichen sich gegenseitig mit Hitler.
Kristo Šagor präsentiert starke Monologe. Die Schauspieler spielen mit einer solchen Intension und Klarheit, dass jedes Wort die Zuschauer direkt trifft. Jeder Satz sitzt hier perfekt und ist auf die Spielpartner in den vielen chorischen Passagen abgestimmt.
Was steckt hinter „Hitler“?
Das Bühnenbild sieht dabei zunächst unspektakulär aus. Eine schmale Bühne – die Darsteller sind höchstens einen Meter von ihrem Publikum entfernt. Sie agieren mit den Zuschauern, gehen auf sie zu und sprechen sie direkt an.
Im zweiten Teil gleicht die Bühne einem Umkleideraum. Hier nimmt das Geschehen an Fahrt zu. Die Schauspieler gehen direkt auf die Person ein, die hinter dem gnadenlosen Diktator steckt. Sie diskutieren über Themen wie Fremdbestimmung, Gleichschaltung, Verfolgung oder Krieg.
Dass Hitler als 13-Jähriger seinen Vater verlor und mit 18 seine Mutter, dass er in der Schule eine Niete war und mit Frauen nicht umgehen konnte, stellt Kristo Šagor in den Raum, doch er nimmt es nicht als Begründung für sein späteres Verhalten – das wäre wohl zu spekulativ.
Eine Erklärung gibt es nicht
„Du Hitler“ ist kein klassisches „Hitler-Stück“. Denn es erfüllt nicht die Erwartungen, die man hat, wenn man sich mit dem Thema beschäftigen soll. Es geht nicht um Nazis, Konzentrationslager und die Judenverfolgung, sondern darum, wie viel Hitler in jedem Menschen steckt. Das Stück gibt neue Denkanstöße und andere Sichtweisen, allerdings ohne ein wirkliches Ergebnis.
Kristo Šagor gibt keine Wertung ab. Er lässt die Schauspieler auf der Bühne diskutieren, er lässt sie sich anschreien, sich schlagen und sich übergeben, doch es führt zu keinem zufriedenstellenden Ende. Das Publikum muss aus der Premiere ohne eine Erklärung nach Hause gehen. Der Regisseur liefert einen guten, neuen und interessanten Ansatz und lässt das Gedankenspiel dann unkommentiert in der Luft hängen.
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