Mannheim/Rhein-Neckar, 21. November 2016. (red/pro) SPD und Grüne haben beantragt, dass die Stadt Mannheim freiwillig 550 Flüchtlinge aus den Lagern in Griechenland und Italien aufnimmt. Damit bringen die beiden Fraktionen die Stadt in eine missliche Lage, eine Zwickmühle, auch Dilemma genannt. Denn ganz egal, welche Entscheidung getroffen wird, ob es eine Mehrheit für den Antrag gibt oder der Antrag mehrheitlich ablehnt wird, wir die Stadt Mannheim durch diesen Antrag von SPD und Grünen negativ belastet.
Von Hardy Prothmann
Der ideal Antrag in einem Gemeinderat schafft eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Die häufigste Form allerdings ist, dass ein Projekt gleich welcher Art beschlossen werden soll. Die Mehrheit beschließt dieses Projekt oder lehnt es ab. Häufig wird die Verwaltung beauftragt, Beschlussvorlagen zu erarbeiten, vor allem bei komplexen Sachverhalten, bei denen es gilt, viele rechtliche Dinge zu beachten und auch kalkulatorisch zu prüfen, welche Folgen ein Projekt hat.
Das Wohl mehren, Schaden abhalten
Gemeinderäte legen im Unterschied zu den Bürgermeistern keinen Amtseid ab. Aber sie sollten sich der Landesverfassung verpflichtet fühlen, die fordert, das Wohl der (eigenen) Bürger zu mehren und Schaden von der Gemeinde abzuhalten.
Die Anträge von SPD und Grünen haben inhaltlich dasselbe Anliegen: Die Stadt Mannheim soll sich verpflichten, 550 Flüchtlinge aus Lagern in Griechenland und Italien im Zuge einer “Relocation” aufzunehmen. Das seien auf 50 Großstädte gerechnet zwei Prozent der 27.400 Flüchtlinge, zu deren Aufnahme sich Deutschland verpflichtet hat und die seit Herbst umgesetzt wird.
Tatsächlich gibt es nirgendwo eine Regelung, dass nur Großstädte diese Flüchtlinge aufnehmen sollen, tatsächlich gibt es keine 50 gleich großen Großstädte, weshalb diese “Prozentrechnung” mehr als unseriös ist.
Forderung rechtlich mehr als fraglich
Es ist zudem rechtlich mehr als fraglich, was dieser Antrag fordert. Denn die Flüchtlinge, die aus den Lagern der beiden Länder nach Deutschland kommen, haben keinen klaren Status. Sie müssen in Deutschland Asyl beantragen und dann wird über deren Antrag entschieden. Eine kommunale Aufnahme würde das Verfahren der Erstaufnahme in den Ländern und der anschließenden Verteilung in die vorläufige Unterbringung der Kreise außer Kraft setzen.
Möglicherweise meinen SPD und Grüne ja auch die Aufnahme von Flüchtlingen, die aus Griechenland und Italien als Kontingent nach Deutschland gebracht werden, in Erstaufnahmeeinrichtungen registriert werden, ihren Antrag stellen und dann nach Mannheim kommen sollen.
Bekannte Lage, neue Lage
Ganz offenbar ist SPD und Grünen die Lage Mannheims nicht bekannt. Die Stadt hat mit dem wortbrüchigen Land versucht auszuhandeln, dass eine Außenstelle der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Karlsruhe weiterhin Bestand hat. Diese LEA-Außenstelle gibt es bereits in der Industriestraße. Im Gegenzug hat sich das Land als Entlastung verpflichtet, der Stadt keine weiteren Flüchtlinge zur vorläufigen Unterbringung zuzuweisen.
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Hintergrund ist der sowieso hohe Ausländeranteil in Mannheim und der – innerhalb weniger Jahre – enorm hohe Zuzug von 12.-15.000 Zuwanderer aus Südosteuropa, ganz überwiegend Bulgaren und Rumänen. Damit ist Mannheim mit rund einem halben Dutzend Städten in Deutschland bereits über Gebühr bei der Integrationsarbeit von EU-Ausländern herausgefordert. Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) bezeichnet diese Tatsache als eine “der größten Herausforderungen für die Stadt”. Die teils miserablen Entwicklungen und Zustände im Jungbusch und der Neckarstadt-West sollten eigentlich allgemein bekannt sein.
Seit der Flüchtlingskrise, die sich spätestens ab Sommer 2015 massiv entwickelt hatte und nur durch die Schließung der Balkanroute zumindest vorerst ein wenig zur Ruhe gekommen ist, hat die Stadt Mannheim mit der Aufnahme von zeitweise bis zu 20.000 Flüchtlingen gleichzeitig die mit Abstand größte Leistung im Südwesten gezeigt.
Aktuell will Innenminister Thomas Strobl in Mannheim ein “Ankunftszentrum”, vermutlich auf Coleman Barracks, errichten lassen – mit bis zu 3.500 Flüchtlingen. Das bedeutet, dass der überwiegende Teil der Flüchtlinge, die dem Land Baden-Württemberg zugewiesen werden, erst nach Mannheim kommen, hier registriert werden und dann auf die künftig vier LEAs und von dort auf die Kreise verteilt werden.
Der ursprüngliche Deal, 750-950 Flüchtlinge in einer eigenen LEA-Außenstelle aufzunehmen, ist also geplatzt und hat sich vervier- oder sogar verfünffacht. Und als wenn das noch nicht reichen würde, fordern SPD und Grüne noch freiwillig 550 Flüchtlinge oben drauf.
Die Antrage stammen vom 26. Juli 2016. Damals war die jetzige Situation noch nicht bekannt – aber sie ist nun ausreichend lange bekannt, um diese Anträge zurückzuziehen. Das aber haben beide Fraktionen nicht getan, sondern ihre Forderung mit Aktionen aktuell noch untermauert.
Politisch gewolltes Dilemma mit garantiertem Schaden
Damit stürzen sie das politische Mannheim in ein Dilemma – und egal, wie entschieden wird, es wird zum Nachteil von Mannheim sein.
Gesetzt den Fall, dass sich für die Anträge keine Mehrheit findet, ist das politische Signal: Mannheim sagt Nein zur geforderten freiwilligen Aufnahmen von Flüchtlingen. Die Botschaft: Mannheim zeigt sich angeblich nicht flüchtlingsfreundlich, sondern flüchtlingsfeindlich. Das ist zwar absurd, wird aber so kommuniziert werden.
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Gesetzt den Fall, dass sich eine Mehrheit für die Anträge findet, wird Mannheim weitere 550 Menschen aufnehmen. Rechnet man mit den 670 Euro pro Monat pro Person, die die Bundesregierung an die Länder zahlt, um die Last der Flüchtlingsunterbringung “auszugleichen”, würde diese Entscheidung bedeuteten, dass Mannheim monatlich 368.500 Euro zusätzlich aufbringen muss. Tatsächlich sind rund 1.000 Euro, vermutlich sogar mehr eher realistisch. Also 550.000 Euro monatlich oder 6,6 Millionen Euro jährlich.
Selbst wenn das Land in einer “Spitzabrechnung” für diese Kosten aufkommen würde, bleiben die Personal- und Verwaltungskosten an der Stadt hängen. Setz man einen Schlüssel von einem Sozialarbeiter für 120 Personen an, müssten knapp fünf Stellen nur hier geschaffen werden. Kostenpunkt mindestens 50.000 Euro, also 250.000 Euro. Dazu noch die Belastung von Sozial- und Jugendamt und weiteren Ämtern. Wer mit mindestens 500.000 Euro oder gut einer Million Euro kalkuliert, dürfte richtig liegen. Hinzu kommt die “Vorfinanzierung”.
Aktuell plant die Stadt ein Kostenreduzierungsprogramm, weil sonst die Zukunftsfähigkeit der Gemeinde gefährdet ist. Statt dazu beizutragen, erhöhen SPD und Grüne also mit Nachdruck weiter die Kosten.
Zudem erhöhen sie den Druck auf einkommensschwache Familien und Einzelpersonen, denn sozialer Wohnraum ist knapp. Entscheidet sich eine Mehrheit also für diese Anträge, geht dies aufs Wohl der Gemeinde und ihrer Bürger.
Diese Anträge führen also – egal wie entschieden – zu einem Schaden für die Stadt Mannheim und stehen damit konträr zur Verantwortung, das Wohl der Gemeinde zu mehren und Schaden von dieser abzuwenden.
Politischer Menschenhandel aus egoistischen Motiven
Der Hintergrund dieser Anträge ist offensichtlich: Mannheim versucht, sich neben der “Herausforderung” durch Südosteuropäer Luft zu verschaffen, was die Flüchtlingskrise angeht. Damit kann die Arbeit von “Hilfsorganisationen” nur eine Art Ersthilfe sein. Diese ist anstrengend, aber niemand kann “Erfolge” vorweisen, denn kaum hat man sich um Flüchtlinge gekümmert, sind diese schon wieder weg und andere “heimsen” das gute Gefühl ein, erfolgreich zu sein.
Mit der Aufnahme von 550 Kontingentflüchtlingen will man dies ändern. Zutreffend analysiert geht es also hintergründig darum, dass sich diese “Hilfsorganisationen” endlich ein Betätigungsfeld schaffen wollen – zu Lasten der Bürgerschaft.
Durch die Konstruktion dieses Dilemmas versucht man moralischen Druck aufzubauen. Das ist eine Art moderne Form des politischen Kidnappings und sehr übertrieben formuliert eine Art sich selbst bestätigenden Menschenhandels zum eigenen Nutzen.
Durch die Anträge ist bereits ein Schaden entstanden. Jetzt gilt es, diesen zu begrenzen und auszuhalten. Das ist das Wesen eines Dilemmas – wir man es macht, macht man es falsch. Die Verantwortung dafür tragen SPD und die Grünen.
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