Rhein-Neckar/Südwesten, 21. November 2016. (red/ric) Die sogenannte Geflügelpest nimmt immer dramatischere Züge an. Das extrem aggressiv auftretende Virus H5N8 grassiert vor allem im Raum Bodensee und bedroht die Geflügelbestände in den landwirtschaftlichen Betrieben und privaten Haltungen. Das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg hat deshalb mit einer Allgemeinverfügung reagiert: Sämtliches Geflügel muss zunächt bis 31. Januar 2017 im Stall bleiben. Welche Auswirkungen hat das für die produzierenden Unternehmen sowie für die Verbraucher?
Von Riccardo Ibba
Die Lage als angespannt zu bezeichnen ist untertrieben. Wir sind hochgradig alarmiert,
sagt Dr. Klaus-Peter Linn, Geschäftsführer des Geflügelwirtschaftsverband Baden-Württemberg auf Anfrage. Der Verband hat alle Betriebe im Land informiert. Diese sind auf solche Lagen vorbereitet und verfügen über die notwendigen Mittel, um eine möglichst umfassende Hygiene zu gewährleisten – aber einen 100-prozentigen Schutz gibt es nicht.
Betriebe sorgen sich um die Existenz
Die Allgemeinverfügung wird von den Eierproduzenten nicht als Schikane verstanden, sondern überaus begrüßt:
Die Infektion eines Bestandes kann sich existenzbedrohend für die Legehennenhalter auswirken,
sagt Dr. Linn. Sollte es in einem Betrieb zur Keulung eines gesamten Bestandes kommen, wäre die Existenzgrundlage, vor allem mittelständiger Unternehmen – und das sind fast alle – gefährdet.
Zwar zahlt die staatliche Tierseuchenkasse in einem solchen Fall einen gedeckelten Betrag, der Verlust wäre trotzdem kaum aufzufangen:
Man braucht Monate, um einen Kunden zu gewinnen, aber nur fünf Minuten, um ihn zu verlieren,
bringt Dr. Linn die Lage auf den Punkt. Wer nicht liefern kann, ist schnell raus aus dem Geschäft. Aktuell sind die Bedingungen für die Produktion von Bio- oder Freiland-Eiern nicht gegeben. Alle Legehennen produzieren aktuell nur Eier aus Bodenhaltung, weil sie eben nicht den Freilauf haben und die Bedingungen für Bio oder Freiland erfüllt sind.
Bio- und Freilandeier sind aktuell Eier aus Bodenhaltung
Trotzdem können die Betriebe, die zuvor Bio- oder Freiland-Eier produziert haben, diese weiterhin über einen Zeitraum von zwölf Wochen als solche verkaufen. Der Grund ist ein wirtschaftlicher: Sie würden sonst vertragsbrüchig und damit geschäftlich enorm belastet, deshalb gilt die Ausnahmeregelung. Tatsächlich sollte der Verbraucher aber wissen, das aktuell nicht Bio drin ist, wo Bio draufsteht – sofern die Eier in Baden-Württemberg produziert werden.
Die Lage ist brandgefährlich, es kann zu Keulungen eines gesamten Bestandes in einem Betrieb kommen,
sagt Herr Dr. Linn. In Baden-Württemberg ist das noch nicht der Fall – der kann sich allerdings rasend schnell einstellen. In Schleswig-Holstein kam es vor gut einer Woche zu einer Massentötung von 30.000 Hühnern, aktuell stehen knapp 9.000 Gänse vor der Keulung im Kreis Dithmarschen, nachdem in einem Betrieb das H5N8 Virus nachgewiesen wurde. Auch Bestände von privaten Besitzern wurden im Norden schon vernichtet.
Lediglich 20 Prozent der Eier kommen aus Großbetrieben mit über 3.000 Tieren
Das Ministerium für Ländlichen Raum reagiert aus Sicht der Redaktion auf die Bedrohungslage mit der Allgemeinverfügung daher richtig und verantwortlich. Die Betriebe müssen strenge Biosicherheitsmaßnahmen vornehmen und auf die sorgfältige Einhaltung von Desinfektionsmaßnahmen achten. Das Tragen von Schutzanzügen ist bei Großbetrieben Pflicht, der Kontakt mit betriebsfremden Personen ist untersagt.
Es gibt 28.790 Geflügelhalter im Südwesten, welche über einen Bestand von rund acht Millionen Tieren verfügen. 8.400 Legehennenhalter betreiben das Geschäft mit Eiern und Geflügel gewerblich, der Rest privat. 170 Halter der gewerblichen Landwirtschaft betreiben ihr Unternehmen mit Beständen von über 3.000 Tieren und sind gegenüber dem Landesamt für Statistik auskunftspflichtig. Rund 9,9 Prozent der Eier werden als Bio-Eier, rund 18,2 Prozent als Freiland-Eier produziert. Gut 70 Prozent sind also Eier aus Bodenhaltung.
Diese Unternehmen produzierten 2015 rund 547 Millionen Eier, das entspricht der Menge von 46 Eiern pro Kopf und Jahr in Baden-Württemberg. Der bundesweite Jahresverbrauch liegt bei 220 Eiern pro Kopf, die Großbetriebe sorgen also lediglich für gut ein Fünftel der verbrauchten Eier. Bundesweit liegt der Anteil an der Versorgung aus deutscher Produktion bei 70 Prozent – insbesondere aus den Niederlanden wird der größte Teil der weiteren Nachfrage importiert, vom Schalenei bis zum Eiprodukt wie Trocken- oder Flüssigei.
Kein 100-prozentiger Schutz möglich
In den großen Betrieben werden Schlachtkontrollen durchgeführt, zudem werden die im Verkauf erhältlichen Eier getestet. Gleichwohl ist es nicht möglich, alle Geflügelhalter zu kontrollieren.
Wir werden allerdings schon mal von Bürgern informiert, die freilaufende Hühner gesichtet haben. Dem gehen wir dann nach,
sagt Isabel Kling, Pressesprecherin des Ministeriums für Ländlichen Raum. Wer gegen die aktuell verfügte Aufstallungspflicht verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit:
Das ist kein Kavaliersdelikt. Sollte ein privater Hühnerhalter seine Tiere freilaufen lassen und im fünf Kilometer entfernten Großbetrieb die Seuche ausbrechen, ist aber der Teufel los,
beschreibt Frau Kling ein mögliches Schreckensszenario. Wer also freilaufende Geflügel sieht, sollte unbedingt die Behörden informieren – das kann auch die Gemeinde oder Polizei sein, die dann das zuständige Veterinäramt informiert.
Das Problem: Zwar sind professionelle Ställe “vogelsicher”, also gegen ein Eindringen von Wildvögeln gesichert. Nagetiere wie Ratten oder Mäuse schaffen es aber immer in die Ställe. Tragen diese das Virus in den Stall hinein, ist die Herde innerhalb kürzester Zeit infiziert und muss gekeult werden. Eine Einzeluntersuchung der Hühner ist sinnlos.
Im Gebiet rund um den Bodensee wurden bereits rund 300 an H5N8 verendete Wildvögel aufgefunden – ganze Bestände gelten als “durchseucht”. Die Gefahr einer Ansteckung von Nutzgeflügel ist auf nicht absehbare Zeit extrem hoch – obwohl viele Großbetriebe aktuell Hochsicherheitstrakten ähneln.
Keine Gefahr für den Menschen
Eine Gefahr für Menschen besteht aktuell nicht. Abgesehen davon, dass die Bio- und Freiland-Eier aktuell Eier aus Bodenhaltung sind, ändert sich zunächst nicht viel für den Verbraucher. Da im Moment noch keine infizierten Tiere gefunden wurden, lassen sich Geflügelfleisch und Eier ohne Bedenken verzehren.
Zudem ist das H5N8 Virus nicht hitzeresistent – gut durchgegart oder -gekocht überlebt das Virus nicht. Sicherheitshalber sollte man auf den Verzehr von rohen Eiern verzichten, beispielsweise auch im Tartar. Auch das Frühstücksei sollte eher hart gegessen werden.