Heidelberg/Rhein-Neckar-Kreis, 19. Oktober 2013. (red/ms) Isoliert vom Rest der Welt leben die Bewohner der kleinen Stadt Kars im Winter einsam im Eis. Das ist der Handlungsort von Ugur Yücels tragischem Film “Soguk”, was auf Deutsch “Kälte” bedeutet. Das ergreifende Drama wurde im Rahmen des TürkFilmFestivalis gleich zwei Mal aufgeführt – und wurde beide Male nur von Wenigen besucht.
Von Minh Schredle
Überall Schnee. Ganz allein quält sich ein Mann langsam weiter. Er folgt Bahngleisen, zählt dabei laut seine Schritte: 9861, 9862, 9863.
Was Regisseur und Drehbuchautor Ugur Yücel hier zeigt, ist trostlos, beklemmend und erbarmungslos kalt. Dann ein Schnitt: Der gleiche Mann im Gespräch mit seiner Frau. Er heißt Balabey (Ahmet Rifat Sungar). Und ist einsam, trotz Familie. Seine Frau ist gerade mit dem dritten Kind schwanger – wirklich freuen kann Balabey sich nicht, noch einmal Vater zu werden.
Schauplatz der Handlung ist die kleine Stadt Kars an der türkisch-georgischen Grenze. Schneemassen begraben ganze Gebäude unter sich und isolieren Kars von der Außenwelt. Die Bewohner scheinen an einer kollektiven Depression zu leiden, die meisten versuchen ihren Schmerz durch Alkohol zu betäuben. So auch Balabey. Er redet wenig und trinkt viel.
Reizentzug als Stilmittel
Überhaupt ist der Film sehr sparsam mit Dialogen – dennoch fehlt ihm nichts: Hauptsächlich lässt Ugur Yücel seine Bilder sprechen. Kalte Bilder mit starken Kontrasten. Schwarz und weiß dominieren deutlich. Dazwischen verlaufen die Farben zu einem Mischmasch aus braun und grau. Auf Filmmusik wird verzichtet. Wie den Bewohnern von Kars werden auch den Zuschauern fast alle Reize entzogen.
Zwischen Balabey und seiner Frau gab es schon lange keine romantischen Momente mehr. Als er wieder einmal betrunken ist, überredet ihn sein Onkel, mit ihm ein Bordell zu besuchen, wo Balabey das erste Mal der bildhübschen, russischen Prostituierten Irina begegnet. Sie schlafen nicht miteinander. Zumindest noch nicht. Balabey hat offensichtliche Gewissensbisse, schließlich fragt die Prostituierte nach:
Was ist los, gefalle ich dir nicht?
Balabey antwortet, sie sei sogar die schönste Frau, die er je gesehen habe. Trotzdem könne er das nicht tun. Schließlich betet er für sie und fährt heim. Wenig später gibt er ihr doch nach. Und verliebt sich schnell in sie, was über einige Umwege in einer großen Katastrophe mündet.
Soguk ist kein angenehmer Film. Keiner, der einen mit Freude erfüllt und glücklich macht. Stattdessen eine schonungslose Konfrontation mit den Abgründen abgestumpfter Menschen. Darin aber brillant und bewegend.
Statt mitgerissen zu werden, gerät man langsam in einen Sog, aus dem man sich kaum noch lösen kann. Fühlt sich fast, als würde man es kennen. Wie es ist, einsam im Eis zu sein. In der Kälte.