Mannheim/Rhein-Neckar, 18. Juli 2013. (red/ae/ld) Zwei Verhandlungstage, zwei Unterbrechungen von jeweils zwei Stunden. So beginnt das Verfahren gegen sechs Männer aus Weinheim und Viernheim im Alter zwischen 18 und 37 Jahren. Die Beschuldigten sollen zwischen April und November 2012 in Weinheim, Hemsbach und Viernheim eine Serie von Firmen- und Geschäftseinbrüchen begangen haben. Jedes Mal ging es um Drogen. Aus der Sucht wollen einige Angeklagten nun aussteigen – sagen sie.
Von Alina Eisenhardt und Lydia Dartsch
Ich mag keine harten Drogen,
sagte der Angeklagte Özgür A. heute morgen vor dem Landgericht Mannheim aus – mit Betonung auf “harten”. Es ist der zweite Verhandlungstag und erst jetzt werden die Angeklagten zu den Vorwürfen befragt. Der 37-Jährige war von Richterin Bettina Krenz noch einmal zu seiner Aussage vom Mittwoch befragt worden:
Sie hatten gesagt, dass Sie keine Drogen nehmen. Bei dem Screening in der Justizvollzugsanstalt wurden Sie aber positiv auf THC und Amphetamine getestet.
Nach dem ersten Verhandlungstag am Montag war für Özgür A. Untersuchungshaft angeordnet worden: Er sollte als ältestes Mitglied der Bande zuerst zu seiner Person vernommen werden. Kam aber nicht. Während einer Verhandlungsunterbrechung von zwei Stunden wurde er von Beamten der Justiz von zu Hause abgeholt. Er habe verschlafen, hatte er Richterin Krenz gesagt.
Auch heute wäre er beinahe zu spät gekommen, trotz U-Haft:
Die JVA hatte keinen Verhandlungstermin eingetragen,
sagte sein Verteidiger Hans-Ulrich Beust.
Ein großes Geständnis wolle sein Mandant Sebastian B. ablegen, kündigte Rechtsanwalt Stephen Lindberg an. Doch dazu ist es noch nicht gekommen. Kurz nach Verhandlungsbeginn wurde die Sitzung wieder für zwei Stunden unterbrochen: Kurz nach Aufnahme der Vernehmung bittet Verteidiger Hans-Ulrich Beust um eine kurze Unterbrechung, seinem Mandanten sei schlecht.
Dieser hält sich die Hand vor Mund und Nase, geht aus dem Gerichtssaal. Kurz darauf wird es unruhig. Die Tür, aus der die Angeklagten in den Gerichtssaal kommen, öffnet sich schnell. Ein Justizbeamter ruft:
Wir brauchen einen Notarzt!
Özgür A. ist vor dem Gerichtssaal zusammengebrochen. Ob wegen Drogen, dem Wetter oder den Haftbedingungen ist nicht bekannt:
Wenn man zum ersten Mal in Haft ist, tut das nicht immer gut. Man ist völlig ausgeliefert: Man kommt in einen Raum, die Tür geht zu und man weiß nicht, wann sie wieder aufgeht,
sagte Rechtsanwalt Beust kurz nach dem Vorfall. Vielleicht habe sein Mandant auch nichts gegessen. Er habe sich über das Essen in der JVA beschwert:
Das Essen in Mannheim ist wirklich schlecht,
sagte er. In diesen Minuten wird der Prozess fortgesetzt.
Überfall auf Spielothek
Am Dienstag war die Hauptverhandlung eröffnet worden. Insgesamt 27 Anklagepunkte hatte Staatsanwalt Frank Stork verlesen: Sechs Männer im Alter zwischen 18 und 37 Jahren müssen sich nun vor dem Mannheimer Landgericht wegen einer Serie von Einbrüchen verantworten. Die sechs sollen zwischen April und November 2012 in wechselnder Besetzung 20 Wohnungseinbrüche verübt haben. Besonders Firmen und Geschäfte waren betroffen.
Desweiteren liegen fünf Klagen wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und eine Klage wegen eines Verstoßes gegen das Waffenrecht vor. Auch der Raubüberfall auf eine Spielothek in Heppenheim lässt sich auf die Einbrechergruppe zurückführen. Insgesamt sollen sie einen Schaden von 200.000 Euro verursacht haben. Drei der Angeklagten sitzen zur Zeit in Untersuchungshaft.
Termin verschlafen
Im Vorfeld des ersten Verhandlungstags musste einer der jugendlichen Angeklagten in Untersuchungshaft genommen werden, vor den Augen seiner Eltern. Gegenüber den Justizvolzugsbeamten war er völlig ausgerastet, trat gegen eine Tür und beschimpfte Richterin Bettina Krenz als “Scheißrichterin”. In Hand- und Fußfesseln wurde er zum Verhandlungsbeginn in den Gerichtssaal geführt.
Özgür A. wurde 1976 in Instanbul geboren. Dort lebte er mit seiner Schwester und seinen Eltern. Aufgrund der politischen Aktivitäten seiner Eltern musste die Familie 1991 die Türkei verlassen und beantragte Asyl in Deutschland. Damals war er 15 Jahre alt. Ein Jahr später habe er bereits gut Deutsch gesprochen, sagte er aus. Seinen Hauptschulabschluss hatte Özgür A. bereits in der Türkei erlangt.
In Deutschland besuchte er eine Berufsfachschule, die er abbrach, weil er durch die Prüfungen fiel. Ab 1994 suchte er gut ein Jahr lang nach einem Ausbildungplatz, bis er diesen in einem Handwerk fand. Aber auch diese brach er ab – nur einen Monat vor seiner Gesellenprüfung. Grund seien Probleme mit seinem Meister, seiner Freundin und seinem Nebenjob gewesen.
Ein weiteres Jahr lang suchte er nach Arbeit. Er hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser:
Mittlerweile finde ich nur durch Leihfirmen Arbeit.
Dabei verdiene er ungefähr 1.100 Euro im Monat. Seit August 2012 sei er arbeitslos. Ihm stehen rund 600 Euro Arbeitslosengeld pro Monat zu.
“Drogen sind nicht mein Ding.”
Seit er in Deutschland lebt, habe Özgür A. Schlafstörungen, gegen die er Schlaftabletten nehme.
Die Tabletten machen süchtig,
antwortete er Richterin Bettina Krenz auf deren Nachfrage, warum er die Tabletten nicht täglich nehme. Laut eigener Aussage nimmt Özgür A. keine Drogen und trinkt selten Alkohol. Der mache ihn aggressiv. Er habe Cannabis, Amphetamin und Extasy ein paar Mal ausprobiert, stellte aber fest:
Drogen sind nicht mein Ding.
Eine Aussage, die einer seiner Mitangeklagten nicht bestätigte: Auf die Nachfrage, ob Özgürs Freunde in dessen Wohnung Drogen konsumiert hätten, schloss er das nicht aus. Er antwortete lediglich, er wisse es nicht.
Einer der 18-jährigen Mitangeklagten hatte den Kindergarten in Weinheim besucht und war 2001 eingeschult worden. Später hatte er die Realschule besucht, musste aber in der sechsten Klasse auf die Hauptschule wechseln.
Als er in die siebte Klasse kam, zog er für zwei Jahre in die Türkei, wo er bei seinen Großeltern und seiner Tante lebte. In der neunten Klasse zog er wieder nach Deutschland und erlangte 2011 den Hauptschulabschluss mit einer Note von 4,0. Anschließend besuchte er eine Gewerbliche Schule in Weinheim. Er brach die Ausbildung ohne das Wissen seiner Eltern ab. Dann sei er keiner Tätigkeit mehr nachgegangen.
Es ist nicht seine erste Anklage, bereits früher war er straffällig geworden – unter anderem wegen Körperverletzung. In früheren Verhandlungen habe er jegliche Schuld abgestritten, sagte sein Verteidiger Rechtsanwalt Endler. Er habe sogar behauptet, die Zeugen lügen. Mittlerweile habe sich das aber geändert.
Nach dem Haftbefehl ist mir so einiges klar geworden. Mir ist alles zu viel geworden. Es war nicht mehr wie früher, es war mir nicht mehr egal. Ich bin nicht mehr aus dem Haus gegangen,
sagte er vor Gericht. Mittlerweile macht er eine Ausbildung in einem Malerbetrieb.
“Ich habe meine Drogen von Özgür A. bekommen.”
Der 18-Jährige Malerlehrling sagte aus, selten Alkohol zu trinken. Bis vor kurzem habe er in regelmäßigen Abständen Cannabis und Amphetamine konsumiert. Richterin Krenz fragte ihn, woher er seine Drogen bekam. Diese habe er vom Angeklagten Sebastian B. bekommen und ein Mal auch von Özgür A.
Das sorgte im Gericht für Verwirrung. Die Richterin fragte noch einmal nach:
Das ist deine Chance zu beweisen, dass du dein Leben wirklich verändern willst.
Der Angeklagte war sichtlich verunsichert: Um ihm etwas Bedenkzeit zu gewähren, gab es eine halb-stündige Pause, nach der er sichtlich ruhiger war.
Ich habe mein Cannabis gelegentlich bei Özgür A. gekauft. Amphetamin verkauft er meines Wissens nach nicht,
sagte er. Dieses habe er sich bei Sebastian B. besorgt.
Mit 14 Heroin genommen
Der Angeklagte Sebastian B. wurde 1988 geboren. Sein Vater starb 1999 an den Folgen seines schweren Alkoholismus. Im Alter von neun Jahren begann er zu rauchen, mit zehn fing er das Trinken an, probierte zum ersten Mal Cannabis. Mit 11 konsumierte er es regelmäßig.
Als er in der vierten Klasse heimlich hinter der Schule rauchte, verpetzte ihn ein Klassenkamerad. Sebastian B. schubste ihn deswegen, wobei dieser sich verletzte. Deswegen habe der Angeklagte auf eine Förderschule wechseln müssen.
Im Laufe der Jahre habe er in verschiedenen Kinderheimen gelebt, aus denen er immer wieder ausbrach. Später besuchte er eine Schule für schwer erziehbare Kinder. Als er in einem Heim drohte, aus dem Fenster zu springen, kam er das erste Mal in das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.
2002 zog er wieder zu seiner Mutter, kam aber mit ihr und ihrem Freund nicht zurecht. Deswegen zog die Mutter zu ihrem Lebensgefährten, und ließ den damals 14-Jährigen allein.
Sie kam immer, um die Wohnung zu putzen und mir Essen zu bringen,
sagte er vor Gericht. Sein Drogenkonsum entgleiste: Mit 13 nahm er dann das erste Mal Amphetamine. Außerdem experimentierte er mit Koks und Ecstacy. Mit 14 konsumierte er regelmäßig Heroin. Erst nasal, dann intravenös.
Sebastian B. besuchte zwar die Schule, “nutzte sie aber eher, um mit Drogen zu dealen”, verlas Frau Bettina Krenz aus einem Gutachten. Er brach mehrere Lehren ab und besuchte im Laufe der Jahre einige Entgiftungsanstalten.
Der Angeklagte hat Hepatitis C und nimmt Medikamente gegen Depressionen und Angststörungen. Außerdem kämpft er gegen seine Drogensucht. Den Heroinkonsum konnte er selbstständig einschränken und schließlich stoppen. 2012 zog er laut eigener Aussage von Viernheim nach Weinheim, “um Abstand von der Drogenszene zu bekommen.”
Er hat mehrere Tausend Euro Schulden. Sein Ziel sei es, von den Drogen wegzukommen und eine Therapie zu machen:
Dieser letzte Vorfall hat mir die Augen geöffnet. Ich sehe jetzt, dass letztlich alles wieder auf die Drogen zurückführt.