Mannheim, 17. Juli 2014. (red/ld) “Ist das echt?” Solche Fragen stellen sich nicht nur Zuschauer von sogenannten Reality-TV-Sendungen wie dem Dschungelcamp, sondern mittlerweile auch Wissenschaftler, die sich damit befassen. Dr. Axel Schmidt vom Institut für deutsche Sprache ist einer von ihnen. So sehr der Widerspruch bei “inszenierter Authentizität” ins Ohr sticht: Es ist alles echt.
Von Lydia Dartsch
Es ist ein Klassiker der Fernseh-Pannen: Mitten in der Tagesschau-Sendung platzt ein Putzmann hinter Susanne Daubner ins Bild. Die Spannung steigt. Wie wird die Sprecherin reagieren? Wird sie lachen? Sie bemüht sich um Beherrschung. Wird sie die Fassung – das Gesicht – verlieren? Ein Schmunzeln spielt um ihre Mundwinkel. Mehr passiert nicht.
In Pannen wie dieser nahm das Realitiy-TV seinen Anfang, sagt Dr. Axel Schmidt vom Institut für deutsche Sprache in seinem Vortrag Ende Juni im Institut. Denn dieses Ereignis beinhalte alles, was Zuschauer daran reizt, bei Sendungen wie “Bauer sucht Frau”, “Der Bachelor” oder “Ich bin ein Star – Holt mich hier raus” einzuschalten: Ein spontanes Ereignis, auf das die Person auf dem Bildschirm reagieren muss. Das erzeugt Spannung: Zeigt sich hier gleich die Person Susanne Daubner, oder bleibt es bei dem, was Dr. Schmidt “sprechenden Kopf” nennt, der in seiner Rolle Nachrichten vorträgt?
Der Zuschauer wird zum heimlichen Beobachter
Wie wird das quengelige Nachwuchsmodell Larissa Marolt reagieren, wenn man ihr tausendjährige Eier vorsetzt? Eine fermentierte Delikatesse. Sie stinkt. Das Eiweiß ist schwarz. Appetitlich ist anders. Wie reagieren die Fernsehzuschauer wenn sie überrascht feststellt: “Wir sind ja wirklich im Dschungel. Ich dachte, das wird im Studio gedreht.” Diese Szene aus “Ich bin ein Star …” gehört zu der fortgeschrittenen Version des Reality-TV, nach Big Brother: Eine Gruppe von Menschen, die sich auf begrenztem Raum 24 Stunden am Tag von Fernsehkameras filmen lassen – bei Gesprächen. Beim Aufstehen. Bei der Begegnung mit heimischen Tieren, wie Spinnen und Reptilien.
Bei Reality-Formaten werden die Zuschauer nicht mehr von “sprechenden Köpfen” angesprochen, sagt Dr. Schmidt. Es gibt keinen Reporter mehr, der die Information den Zuschauern vermittelt. Die Zuschauer sind nicht mehr die Angesprochenen. Sie werden zu heimlichen Beobachtern des Geschehens. Dass dieses Konzept ankommt, zeigen die Einschaltquoten der RTL-Sendung: Bei der im Januar ausgestrahlten achten Staffel lag der Marktanteil bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern stets zwischen 38,5 und 47,7 Prozent. Für Fernsehmacher eine Traumquote.
Werkzeugkasten der Fernsehinszenierung
Angeblich ist alles echt. Die gezeigten Menschen, ihre Reaktionen und wie sie sprechen. Anders als die Witze der Moderatoren Sonja Zietlow und Daniel Hartwich sind ihre Texte nicht vorgeschrieben. Bei dem Genre der Scripted Reality dagegen schon. Davon grenzt Dr. Schmidt sein Forschungsfeld ab: “Der Eindruck der Realität wird dadurch erzeugt, dass die gezeigten Personen real existieren, spontan handeln und dadurch, dass ihr Handeln Konsequenzen in deren Leben haben”, sagt er. Solche Reaktionen ließen sich nicht einstudieren. “Interessanterweise”, sagt Dr. Schmid “haben Befragungen ergeben, dass ein großer Teil der Zuschauer Scripted-Reality-Sendungen für echter halten.”
Also keine Inszenierung? Die Sendungsmacher greifen ordentlich in ihre Werkzeugkiste und das nicht nur bei Kameraeinstellung, Schnitt und Ton: Im Schock friert das Bild ein, wird grau. Es pulsiert. Dazu die berühmte Ton-Sequenz aus dem Alfred-Hitchcock-Film “Psycho”.
Dschungelprüfung als Auslöser für authentische Reaktionen
“Die Zuschauer erwarten authentische Personen zu sehen”, sagt Dr. Schmid. Weil nichts vorgeschrieben wird, werden die Kandidaten mit Situationen konfrontiert, in denen sie spontan reagieren müssen. Situationen, in denen sie die Kontrolle über ihren Körper verlieren, weil sie Angst haben, sich ekeln oder überrascht sind.
Erreicht wird dies durch die Spielregeln, wie dem Fehlen von Kaffee, Alkohol und Zigaretten sowie durch die Dschungelprüfungen. Darin müssen die Kandidaten ekelerregende Gerichte und Getränke zu sich nehmen. Sie werden mit “Dschungelschleim” übergossen, mit Insekten und Würmern überschüttet. Sie müssen sich durch stinkende Schlachtabfälle und Eingeweide wühlen oder treffen auf Schlangen und Spinnen oder sonst wildlebenden Tieren. Alles, um Sterne zu erspielen, die nach deren Rückkehr ins Camp in Essensrationen umgetauscht werden. Je mehr Sterne, desto mehr Essen. Wer zu wenige mitbringt, den erwartet der Zorn seiner Campgenossen. Das sorgt für Spannung.