Schriesheim/Rhein-Neckar, 17. September 2015. (red/cr) Der Bau des Branich-Tunnels in Schriesheim geht in die finale Phase. Ein Lichtblick für die Schriesheimer – aber auch für das Land und die gesamte Region.
Von Christin Rudolph
Die Landstraße L 536 bildet zwischen Weinheim und Heidelberg die einzige Verbindung für den Odenwald in Richtung Westen. Seit Jahrzehnten ist das eine hohe Belastung für die Bevölkerung: Etliche Einwohner der wachsenden Wohngebiete im Odenwald pendeln in die Großstädte der Metropolregion Rhein-Neckar.
Ein Teil der L 536 führt direkt durch die Schriesheimer Altstadt und wird als Talstraße bezeichnet. Die L 536 wurde immer wieder ausgebaut, doch die Talstraße in Schriesheim bleibt ein Nadelöhr, der Verkehr fließt zäh und die Lage wurde immer prekärer. In der Talstraße sind sowohl Fahrbahn als auch Gehwege sehr eng.
Schon im Planfeststellungsbeschluss von 2004 steht:
Da die Fahrzeuge zum Teil nur in einem Meter Entfernung an den Häusern vorbeifahren, wird damit ein Zustand erreicht werden, der nicht nur einer Enteignung der Hausgrundstücke nahe kommt, sondern auch gesundheitsgefährdend werden könnte. An manchen Stellen sind die Gehwege nur so breit, dass ein Mensch, der sich nicht dicht an der Hauswand hält, leicht in Gefahr gerät, von einem vorbeifahrenden LKW erfasst zu werden.
Lastfahrzeuge können in der Talstraße – wenn überhaupt – nur in Schrittgeschwindigkeit aneinander vorbeifahren. Nach den Zählungen des Regierungspräsidiums von 2011 benutzten pro Tag 259 LKWs das Nadelöhr Talstraße – größtenteils handle es sich dabei um vermeidbareren Durchgangsverkehr. Häufig passierende Holztransporte würden die Lage zusätzlich durch ihre sperrige Fracht verschärfen.
Vor allem für Fußgänger und Fahrradfahrer ist das eine gefährliche Situation. Von Schadstoff- und Lärmbelastung ganz zu schweigen.
Langer Kampf um eine Lösung
Die Schriesheimer Innenstadt wird vom Durchgangsverkehr der L 536 geplagt. Und das nicht erst seit gestern: Schon in den fünfziger Jahren wurde die Verkehrsentlastung des Schriesheimer Ortskerns vor allem der Talstraße diskutiert. Zunächst allerdings in Form einer Umfahrung. Doch trotz steigender Verkehrsbelastung wurden keine Maßnahmen ergriffen.
Daher gründeten Anwohner 1973 die Talstraßen-Bürgerinitiative und setzen sich für einen Tunnel zur Lösung des Problems ein. Er sollte durch den Berg Branich gehen und damit den Durchgangsverkehr um die Talstraße herumleiten. Bis diese Vision Wirklichkeit wurde, war es allerdings ein langer Weg.
Erst 22 Jahre später, 1995, wurde der Tunnelbau zumindest als „vordringlicher Bedarf“ in den Generalverkehrsplan des Landes aufgenommen. 2000 begann das Planfeststellungsverfahren. Bis dieses aber abgeschlossen werden konnte, sollten noch vier weitere Jahre vergehen. Denn zwischenzeitlich hatten sich die Sicherheitsbestimmungen für den Tunnelbau geändert, was nachträgliche Änderungen in den Bauplänen nach sich zog. Damit war zwar geplant – aber nicht finanziert.
Weitere vier Jahre später kündigte der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) ein 60 Millionen starkes Sonderprogramm für Großprojekte im Straßenbau an. Der Branich-Tunnel erhielt teilweise Mittel aus diesem Impulsprogramm, die verbleibende Differenz zur Finanzierung wurde aus dem regulären Straßenbauhaushalt des Landes beglichen.
Am 17. November 2008 erfolgte schließlich der erste Spatenstich durch den damaligen Innenminister Heribert Rech (CDU). Am ersten Februar 2012 konnte der Tunnel-Anstich gefeiert werden, am ersten August 2013 der Tunnel-Durchstich. Bei Baubeginn waren 63 Millionen Euro Kosten und eine Bauzeit von sechs Jahren veranschlagt. Die momentanen Kosten belaufen sich auf circa 85 Millionen Euro.
Am 4. September besuchte Georg Wacker, Landtagsabgeordneter der CDU, die Baustelle im Rahmen seiner alljährlichen Fahrradtour durch den Wahlkreis. Dabei erwähnte er, dass der Tunnel eigentlich im Frühjahr 2016 – also kurz vor der Landtagswahl – hätte fertiggestellt werden sollen. Nach seinen Informationen verzögere sich die Eröffnung aber bis zum Sommer 2016. Das Regierungspräsidium bestätigte das auf Rückfrage der Redaktion.
Hohe Sicherheitsstandards
Für den 1.796 Meter langen Branich-Tunnel mussten etwa 170.000 Kubikmeter Granit aus dem Branich gesprengt werden. Damit ist er nicht nur finanziell ein Großprojekt, sondern auch im technischen Sinne.
Der Tunnel entspricht den neuesten Sicherheitsanforderungen: Er verfügt über fünf Notausgänge, davon zwei parallel zur Tunnelröhre zum Westportal hin, einer zu einem stillgelegten Bergwerk und dessen Zugang, und zwei weitere führen durch einen Stollen auf die vorhandene Talstraße. Im Tunnel selbst gibt es zwei Nothaltebuchten. Dort befinden sich ebenfalls Notausgänge.
An der Tunnelinnenseite mit den Notausgängen sind alle 25 Meter Fluchtwegkennzeichnungen zu finden. Auch im Fluchtstollen gibt es Markierungen zur Orientierung. Am Ende jedes Fluchtstollens ist ein Strahlventilator installiert, um die Luftzirkulation auch außerhalb des Notbetriebs zu gewährleisten. Wird eine Notausgangstür geöffnet oder im Falle einer Brandmeldung springen diese Ventilatoren an. So kann kein Rauch aus dem Tunnel in den Fluchtstollen eindringen.
In der Tunnelröhre gibt es 16 Notrufeinrichtungen. Wird eine Notrufnische geöffnet, schaltet sich automatisch eine Videoanlage ein. Deren Bild wird der Polizei übermittelt, damit diese den Grund für den Notruf leicht erkennen und Folgemaßnahmen in die Wege leiten kann. Über eine Lautsprecheranlage können die Polizei oder der Betriebsdienst gegebenenfalls die Menschen im Tunnel informieren und Anweisungen für den konkreten Notfall geben. Außerdem werden eine Durchsageanlage und eine Funkstrecke für die Rettungsdienste, Feuerwehr, Straßenmeisterei und Polizei in den Verkehrsfunk integriert.
Im Falle eines Feuers alarmiert die Brandmeldeanlage automatisch die Feuerwehr, die Ampeln werden auf Rot geschaltet und die Halbschranken geschlossen. Somit ist der Tunnel in kürzester Zeit gesperrt und die Brandlüftung leitet den Rauch aus dem Tunnel nach draußen.
Ein Großprojekt – auch für die Feuerwehr
Doch der Brandschutz besteht nicht nur aus baulichen Maßnahmen: Nach Erstellung eines Sicherheits- und Brandschutzkonzepts war klar, dass in die freiwillige Feuerwehr Schriesheim investiert werden muss. Wegen der Länge des Tunnels sind spezielle Austattungsgegenstände erforderlich. Im Laufe der Bauphase stellten die beteiligten Bauunternehmen, allen voran Züblin, die Spezial-Ausrüstung auf Kosten des Regierungspräsidiums zur Verfügung. Diese Ausrüstung wird bei der Freigabe des Tunnels von der Feuerwehr übernommen.
Dazu zählen unter anderem 24 Langzeitatemschutzgeräte mit jeweils zwei Druckluftflaschen und Zubehör, vier Atemschutzmasken mit Zubehör und zwei Wärmebildkameras, um im Tunnel auch bei starkem Rauch Menschen retten zu können. Um auf Autounfälle im Tunnel gut vorbereitet zu sein wurden auch eine Rettungsspreize und eine Rettungsschere angeschafft.
Die Feuwehr besitzt eine Schleifkorbtrage, eine Krankentrage speziell für unwegsames Gelände. Als Transportfahrzeug für den Rettungsstollen werden ein Quad (Geländefahrzeug) und der dazugehörige Geräteanhänger von Züblin übernommen. Die Materialkosten belaufen sich auf circa 120.000 Euro netto. Die Freiwillige Feuerwehr besuchte zudem eine Grubenwehr-Schulung, damit bereits während der Bauarbeiten die nötigen Kompetenzen zur Rettung im Tunnel vorhanden sind.
Derzeit besuchen Mitglieder der Mannschaft Fahrzeugbrand-Schulungen der International Fire Academy in der Schweiz, um aus erster Hand von den Tunnel-Experten zu lernen. Oliver Scherer, Gesamtkommandant der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt Schriesheim, sieht seine Mannschaft gut vorbereitet auf die Betreuung des Tunnels.
Weitreichende Auswirkungen
Es wurden seitens der Bürger Bedenken geäußert, die Schriesheimer Innenstadt könne bei stark verringertem Durchgangsverkehr „aussterben“. Im Januar 2013 fand eine Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema „Quo vadis Schriesheim? Die Auswirkungen des Branichtunnels für die Stadtentwicklung“ statt.
Dort begegnete der Ladenburger Architekt und Städteplaner Jürgen Borkowski den Bedenken mit dem Verweis auf städtebauliche Maßnahmen. So schlug er damals zusätzliche Wohnbebauung vor. Ein geringeres Verkehrsaufkommen in der Talstraße bietet aber auch neue Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten wie zum Beispiel die Einrichtung einer verkehrsberuhigten Zone. Solche Maßnahmen würden wiederum die Attraktivität der Stadt steigern. Bauamtsleiterin Astrid Fath sagt dazu:
Schriesheim mit seinem belebten Altstadtzentrum ist attraktiv genug um nicht auf Pendler angewiesen zu sein.
Eine deutliche Verringerung des Verkehrsaufkommens in der Talstraße habe zweifelsfrei viele positive Effekte: Nicht nur das Wohnen in der Schriesheimer Innenstadt werde wieder attraktiver, auch die Odenwaldgemeinden dahinter könnten mit einer Wertsteigerung ihrer Immobilien und einem verbesserten Lebensgefühl rechnen:
Der Tunnel wird nicht nur für Schriesheim gebaut.
Laut dem Planfeststellungsbeschluss von 2004 ergibt sich eine deutliche Entlastung bezüglich der Schadstoffkonzentration. Im bebauten, luftaustauscharmen Teil Schriesheims würden diese sinken, ohne an anderer Stelle deutlich anzusteigen. Denn mit der neuen Verkehrsführung werde sich das Stauaufkommen minimieren und auf der neuen Strecke könnten sich die Schadstoffe auch besser verteilen.
Nach Aussage des Regierungspräsidiums Karlsruhe decken sich die aktuellen Erwartungen mit denen aus einem Verkehrsgutachten von 2004. Demnach kann die Talstraße durch den Branich-Tunnel um etwa 60% entlastet werden. Ein aktuelleres Gutachten liege nicht vor.
Direkt werden den Tunnel ganz überwiegend Pendler nutzen, aber auch der Durchgangs-Verkehr der Lastfahrzeuge kann nun um die Talstraße herum geleitet werden. Der Branich-Tunnel ist daher eine Bereicherung für die ganze Region.