Mannheim/Stuttgart, 13. April 2016 (red/ms) Seit der Schließung der Balkan-Route ist die Zahl von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, dramatisch zurückgegangen. Das macht sich besonders in den Erstaufnahme-Einrichtungen bemerkbar. 28.000 verfügbare Plätze in Baden-Württemberg werden derzeit nicht benötigt. So sind aktuell in keiner der Mannheimer Erstaufnahme-Einrichtungen die Kapazitäten auch nur ansatzweise ausgelastet – und dennoch sind alle vier Lager weiterhin in Betrieb. Offenbar als Reserve, falls die Zugangszahlen wieder steigen.
Von Minh Schredle
Seit die Türkei der EU und Deutschland die Drecksarbeit der gewaltsamen Grenzsicherung abgenommen hat, ist ein dramatischer Rückgang der Zugangszahlen zu verzeichnen. So kamen nach Angaben des Integrationsministerium in der vergangenen Woche 559 Flüchtlinge in Baden-Württemberg an – allein am 30. Oktober 2015, dem Tag mit dem höchsten erfassten Zugang, waren es 1.732 Menschen.
Die Unberechenbarkeit der Krise
Über Monate hinweg wurden eilig Notunterkünfte eingerichtet und die Behörden haben unter einem immensen Druck zusätzliche Kapazitäten geschaffen. Zwischenzeitlich waren fast 50.000 Menschen in der Erstaufnahme untergebracht, etwa 15.000 davon in Mannheim. Der überwältigende Großteil der Kapazitäten wurde dabei kurzfristig geschaffen – was teils zu mindestens fragwürdigen Unterbringungsumständen führte.
Doch es gelang, Obdachlosigkeit zu vermeiden und eine durchgehende Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen – vor dem Hintergrund der Herausforderung ist das zunächst eine sehr respektable Leistung. Und zwar nicht nur seitens der “Lenkungsgruppe Flüchtlingsunterbringung”, die für die Koordination der Unterbringung auf Landesebene verantwortlich ist. Sondern auch seitens der Kreise, Kommunen und Ehrenamtlichen, die dank ihres Engagements einen Kollaps vermieden haben – es ist fraglich, wie lange das bei unverändert hohen Zugangszahlen noch funktioniert hätte.
28.000 ungenutzte Plätze
Dass die Zugangszahlen nun so drastisch begrenzt wurden, führt zu einer mitunter absurd anmutenden Situation, zu einem Chiasmus der Extreme: Im Herbst kamen sehr viele Menschen – aber es gab keine Plätze. Jetzt gibt es sehr viele Plätze – aber es kommen keine Menschen mehr.
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Von den landesweit 38.000 Plätzen in Erstaufnahme-Einrichtungen, sind nach Angaben des Integrationsministeriums derzeit nur knapp 10.000 Plätze auch in Verwendung. Vergangenen Montag verkündete das Ministerium, dass die Zahl der “sofort verfügbaren Plätze” auf 19.000 reduziert werden soll. Gleichzeitig solle aber gewährleistet werden, dass bei einem “plötzlichen Anwachsen des Zustroms zeitnah eine höhere Zahl zur Verfügung gestellt werden” könne.
Michael Brand, Pressesprecher der Lenkungsgruppe Flüchtlingsunterbringung, erklärt dazu auf Rückfrage der Redaktion, einige Einrichtungen würden dauerhaft geschlossen werden, andere versetze man “in eine Art Standby-Modus”, um sie kurzfristig als Reserve reaktivieren zu können. Standorte, bei denen die Schließung bereits beschlossen wurde, sind nach Angaben des Ministeriums die Zeltstadt in Neuenstadt, sowie zwei Unterkünfte in Stuttgart und Ulm.
Zu einer möglichen Entlastung des nordbadischen Raums wurde dagegen bislang nichts verkündet. Offenbar bleiben aber alle vier Erstaufnahme-Einrichtungen in Mannheim vorerst in Betrieb – obwohl gegenwärtig in keiner einzigen davon die verfügbaren Kapazitäten auch nur ansatzweise ausgeschöpft werden.
Nach Angaben der Stadtverwaltung sind derzeit 200 Menschen in der Pyramidenstraße untergebracht (etwa 750 Plätze), 159 in den Hammond-Kasernen (etwa 1.000 Plätze), 156 auf Spinelli (mindestens 3.000 Plätze) und 1.600 im Benjamin-Franklin-Village (bis zu 8.000 Plätze). Insgesamt ergibt sich eine Summe von etwa 2.115 Personen in Erstaufnahme-Einrichtungen – bei fast 13.000 verfügbaren Plätzen. Vorerst wird davon offenbar nichts geschlossen.
Entlastung für Kommunen angekündigt – zu Lasten der Erstaufnahmen
Wie das Ministerium außerdem mitteilte, wolle man die Kommunen und Kreise entlasten, indem man die Zuweisungen aus den Erstaufnahme-Einrichtungen deutlich reduziere. Dazu heißt es in einer Presseerklärung:
Derzeit werden aus der Erstaufnahme bis zu 4.000 Flüchtlinge pro Monat an die Kommunen weitergegeben, ab Mai soll die Zahl auf 500 pro Monat reduziert werden. Ergänzend wurde eine Sonderregelung bei den Zuteilungen für Kreise gefunden, die bislang weniger Flüchtlinge als erforderlich aufgenommen hatten, um deren Aufnahmedefizit zu verringern. Die Reduzierung der Verlegungszahl steht unter dem Vorbehalt, dass die Flüchtlingszahlen nicht kurzfristig steigen.
Der Druck auf die Kommunen des Rhein-Neckar-Kreises dürfte damit deutlich reduziert werden – nichtsdestotrotz wird weitere Unterstützung seitens des Landes nötig sein, um menschenwürdige Unterbringungen zu schaffen. Insbesondere finanziell ist hier der Bedarf ungebrochen groß.
Denn auch wenn durch langsamere Zuweisung und somit womöglich ein paar Monate Aufschub der Zeitdruck erheblich abnehmen kann, verbleiben in jedem Fall die Millionenkosten für zusätzliche Bauprojekte. Hier werden unterstützende Mittel aus der Landeskasse nötig sein, um unzumutbare Umstände zu vermeiden.
Wenn die Menschen langsamer auf die Kreise und Kommunen verteilt werden, steigt die Verweildauer in den Erstaufnahme-Einrichtungen. Seitens des Ministeriums wurden bislang keine Angaben dazu gemacht, welche Personengruppen nach Stellung ihres Asylantrags schnell weiterverteilt werden und wer erst einmal in den Massenlagern verwaltet wird – es ist aber zumindest sehr wahrscheinlich, dass insbesondere Asylsuchende mit schlechter Bleibeperspektive eher in den Erstaufnahme-Einrichtungen bleiben dürften – das erleichtert gegebenenfalls die Abschiebung.
Momentan ist es nicht mehr als eine Spekulation: Aber mit der Zentralen Registrierungsstelle in Heidelberg, der guten Verkehrsinfrastruktur in der Region und den großen Kapazitäten von Franklin und Co, wären die Mannheimer Kasernen als “Zentrale Zeit-bis-zur-Abschiebung-Überbrückungsstelle” Baden-Württembergs sehr geeignet.