Weinheim/Rhein-Neckar, 13. November 2015. (red/pm) Ohne ehrenamtliche Unterstützung wäre die Politik vor der aktuellen Flüchtlingslage völlig aufgeschmissen – das gilt auch für den Rhein-Neckar-Kreis. Doch viele Helferinnen und Helfer fühlen sich allein gelassen und nur mangelhaft unterstützt. Dr. Carsten Labudda, Weinheimer Stadtrat und Kreisrat für die Linke, wendet sich an Landrat Stefan Dallinger und hat konkrete Verbesserungsvorschläge. Wir dokumentieren sein Schreiben.
Offener Brief von Dr. Carsten Labudda an Landrat Stefan Dallinger:
“Sehr geehrter Herr Landrat,
Seit einiger Zeit befinden sich alle politischen und administrativen Ebenen unseres Landes im Ausnahmezustand. Millionen Menschen wurden durch Krieg, Verfolgung und Elend aus ihrer jeweiligen Heimat vertrieben. Hunderttausende dieser Menschen hoffen auf Schutz und Hilfe in Deutschland.
Auch bei uns im Rhein-Neckar-Kreis sind Politik, Verwaltung und viele ehrenamtlich Tätige intensiv damit beschäftigt, die zu uns Geflüchteten menschenwürdig unter zu bringen, mit dem Nötigsten zu versorgen und auf unterschiedlichste Weise in unsere Gesellschaft einzuführen. Gerade die große Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung hat sich in diesem Zusammenhang als unverzichtbar erwiesen, um die großen Aufgaben auch nur annähernd zu bewältigen. Dafür gebührt allen Beteiligten großer Dank.
Ich habe vorgestern das erste Begegnungscafé im Ebert-Park-Hotel in Weinheim besucht und mir dabei einen Eindruck von den Gegebenheiten machen können. Das, was ich mir ansehen konnte, und das, was die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer mit berichteten, ist Anlass meines heutigen Schreibens an Sie.
Sehr geehrter Herr Landrat, die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sagten mir ganz unverblümt, dass sie sich aktuell vom Rhein-Neckar-Kreis allein gelassen fühlen. Ich möchte Ihnen diesbezüglich einige Punkte näher erläutern, damit Sie die Unzufriedenheit der Helferinnen und Helfer mit dem Kreis genauer nachvollziehen können.
Ich hoffe sehr darauf, dass Sie bei den im Folgenden genannten Punkten möglichst schnelle Abhilfe schaffen können, denn es kann in niemandes Interesse sein, wenn die fleißigen Bürgerinnen und Bürger auf absehbare Zeit ausgebrannt werden.
(1.) Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer im Ebert-Park-Hotel monieren das Fehlen eines direkten Ansprechpartners, sowohl vor Ort als auch fernmündlich. Als ich beim Begegnungscafé eintraf, traf ich die Ehrenamtskoordinatorin der Stadt Weinheim, Frau Herrmann, jedoch niemanden vom Rhein-Neckar-Kreis. Wie mir mitgeteilt wurde, sei ein Sozialarbeiter des Kreises vormittags vor Ort. Es gebe aber nach einhelliger Auffassung der anwesenden Aktiven deutlich zu weniger Sozialarbeiter des Kreises, um die Betreuung der vielen Flüchtlinge sachgerecht durchführen zu können. Die zu wenigen vorhandenen Sozialarbeiter des Kreises arbeiteten durchweg über ihrem Limit. Das kann so nicht bleiben. Herr Landrat, bitte sorgen Sie schnellstmöglich dafür, dass seitens des Landratsamtes personell aufgestockt wird.
(2.) Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind aktuell jeden Tag mit mindestens zwei bis drei Personen vor Ort im Ebert-Park-Hotel, mindestens in der Zeit von 10 bis 18 Uhr, meistens bis in die Nacht, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen und entstehende Probleme zu lösen. Doch wenn einmal dringend ein Ansprechpartner des Kreises benötigt wird, dann fehlt ein erreichbarer direkter Draht. Die Helferinnen und Helfer sind in Notsituationen auf die Notrufnummer 112 zurück geworfen und müssen hoffen, dass über die Leitstelle eine Verbindung zu einem entscheidungsfähigen Mitarbeiter des Kreises hergestellt werden kann. Das ist umständlich und dauert oft zu lange. Herr Landrat, bitte sorgen Sie dafür, dass für die ehrenamtlich Tätigen eine entscheidungsfähige Stelle eingerichtet wird, die rund um die Uhr erreichbar ist.
(3.) Der eklatante Personalmangel hat dazu geführt, dass im Ebert-Park-Hotel inzwischen sogar die medizinische Versorgung der Bewohner fast komplett über die Ehrenamtlichen abgewickelt wird, selbst bei hoch Schwangeren, Traumatisierten und chronisch Kranken. Ehrenamtliche waren inzwischen sogar als Geburtshelfer tätig und haben einem schwer erkrankten das Leben gerettet. Auf diese engagierten Bürgerinnen und Bürger können wir nur stolz sein. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie hier aus der Not heraus Aufgaben übernommen haben, die ganz klar nicht Aufgaben der Ehrenamtlichen sein sollten sondern durch professionelle Kräfte erledigt gehören. Herr Landrat, sorgen Sie bitte schnellstmöglich für professionelle Kräfte des Kreises, um die Ehrenamtlichen von solchen Aufgaben umgehend zu entlasten.
(4.) Es ist offenkundig, dass die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer aktuell die Hauptlast der Arbeit im Ebert-Park-Hotel tragen, ohne die der Rhein-Neckar-Kreis augenscheinlich aufgeschmissen wäre. Wie kann es dann aber sein, dass den Aktiven noch nicht einmal ein kleiner Raum im Ebert-Park-Hotel zur Verfügung gestellt wird, z.B. für Besprechungen mit Bewohnern? Gerade für die Gespräche mit den schwangeren Frauen sollte ein geschützter Bereich da sein, damit sie sich offen anvertrauen können. Das ist gegenwärtig so nicht möglich. Herr Landrat, bitte sorgen sie dafür, dass ein Raum, idealer Weise im vorgesehenen Verwaltungstrakt, für die Arbeit der ehrenamtlich Tätigen zur Verfügung gestellt wird.
(5.) Bei der Ausstattung der Flüchtlinge wurde seitens des Kreises ein Minimal-Niveau umgesetzt. Um ein Beispiel zu nennen: So wurde pro Person zwar ein Esslöffel, aber nicht einmal ein Kaffeelöffel organisiert. Nach Ansicht der Ehrenamtlichen verlässt sich der Kreis darauf, dass die Helferinnen und Helfer Sachspenden einwerben. Zum Glück ist die Spendenbereitschaft der Bevölkerung nach wie vor sehr hoch. Doch wie kann es sein, dass seitens des Kreises noch nicht einmal ein kleiner Raum zum Lagern, Sortieren und Verteilen der Sachspenden zur Verfügung gestellt wird? Herr Landrat, bitte sorgen Sie dafür, dass ein Raum im Ebert-Park-Hotel als temporäres Lager durch die Ehrenamtlichen genutzt werden kann.
(6.) Das ehemalige GUPS-Hotel in Weinheim wurde am 23. Juli mit Flüchtlingen belegt. Erst im Oktober fand eine erste vom Kreis organisierte Vollversammlung statt, in der 13.11.2015 69469 Weinheim auch die gemeinsamen Regeln erklärt und besprochen wurden. So lange darf beim Ebert-Park-Hotel nicht gewartet werden. Aktuell ist es an den Ehrenamtlichen, hausinterne Regeln („Hausordnung“) aufzustellen, zu kommunizieren und auch durchzusetzen. Herr Landrat, bitte lassen Sie die Helferinnen und Helfer nicht länger
damit allein, und setzen Sie bitte zeitnah eine Vollversammlung mit Bewohnern und Helfern an.
(7.) Auch bei der Kommunikation mit der Nachbarschaft fühlen die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sich durch den Rhein-Neckar-Kreis allein gelassen. Die Gespräche mit der Nachbarschaft sind zeitintensiv und auch aufreibend. Die Helferinnen und Helfer bekommen vorhandenen Unmut und auch Kritik ab, haben aber zugleich keine Entscheidungskompetenz, um Abhilfe zu schaffen. Herr Landrat, es kann nicht Aufgabe ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer sein, dem Kreis die Kommunikation mit der Nachbarschaft der kreiseigenen Unterkunft abzunehmen, deshalb sorgen Sie bitte dafür, dass eine entscheidungsbefugte Ansprechperson des Kreises auch für die Nachbarschaft häufig und sicher erreichbar vor Ort ist.
(8.) Die Ehrenamtlichen wünschen sich, dass permanent ein Sicherheitsdienst mit einem oder zwei Mitarbeitern vor Ort ist. Dies soll dem Schutz der Flüchtlinge und der Deeskalation bei internen Konflikten dienen. Zudem wird als wichtig angesehen, auf diese Weise permanent einen Generalschlüssel vor Ort zu haben. Wenn sich mal jemand aussperrt oder z.B. ein Kurzschluss an einem Sicherungskasten passiert, dann müssen die Helferinnen und Helfer bisher immer die 112 anrufen. Mit einer Sicherheitsfachkraft vor Ort ließen sich solche Dinge deutlich schneller und unbürokratischer erledigen. Herr Landrat, bitte sorgen Sie dafür, dass umgehend ein Sicherheitsdienst vor Ort eingesetzt wird.
Sehr geehrter Herr Landrat, ich habe großes Verständnis dafür, dass auf allen Ebenen Ausnahmezustand herrscht, um die menschenwürdige Behandlung und Versorgung der aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen zu sichern. Wir sind uns sicherlich einig, dass wir bei dieser Herausforderung auf die aktive Mithilfe der ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürger angewiesen sind.
Deshalb ist es umso wichtiger, die große Hilfsbereitschaft in unserer Bevölkerung zu erhalten und zu unterstützen. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, sich möglichst schnell um die Umsetzung der von mir aufgezählten Punkte zu kümmern. Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Carsten Labudda”