Mannheim, 09. Februar 2016. (red) Was viele nicht wissen – das schriftliche Interview ist eine journalistische Kunstform. So gut wie kein „gedrucktes“ Interview wurde jemals so geführt, wie es veröffentlicht wird. Wie sehr gibt ein Interview, das so nie stattgefunden hat, dann „die Wahrheit“ wieder? Das ist eine interessante Frage. Aber es gibt noch jede Menge mehr interessante Fragen.
Von Hardy Prothmann
„Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“, ist eines der geflügelten Worte des Altkanzlers Konrad Adenauer. Tatsächlich soll das vollständige Zitate den Zusatz getragen haben: „…Nichts hindert mich, weiser zu werden.“ Und es gibt genug Hinweise, dass er weder den ersten noch den zweiten Satz jemals so gesagt hat. Zumindest gibt es keine biographische Quelle, die eindeutig ihm zuzuschreiben ist.
Es gibt Gesprächspartner, die können wahrhaft druckreif reden. Doch das sind unter Hundert nur einige wenige. Unter diesen wenigen gibt es welche, die reden druckreif, aber in Schachtelsätzen, die so komplex sind, dass sie der “normale” Leser nur mit höchster Mühe, wenn überhaupt verstehen kann. Wenn dann noch „Fachsprache“ dazu kommt, wird es ganz hart.
Verschriftlichte Rede
Journalisten haben eine schwere Aufgabe. Sie müssen aus Respekt vor dem Gesprächspartner und auch aus Respekt vor der Leserschaft als Dokumentatoren so nah wie möglich am gesprochenen Wort bleiben, es aber gleichzeitig derart verschriftlichen, dass ein interessierter Leser auch verstehen kann, was gesagt worden ist.
Das schriftliche Interview kennt keine Redepause, keine Mimik, keine Geste oder sonstige Informationen, die in einem persönlichen Gespräch übertragen werden. Man kann situative Beschreibungen hinzufügen (lacht), (schau erstaunt), (ist amüsiert), (wirkt verärgert). Aber auch das ist eine Interpretation. Vielleicht grinst ja auch jemand und ist in Wirklichkeit sehr erbost, macht also nur gute Miene zum bösen Spiel.
Viele Fragen auf dem Weg zur Autorisierung
Gleichzeitig ist das schriftliche Interview besonders „authentisch“, weil da eben „in Stein gemeißelt“ ist, was jemand gesagt hat. Insbesondere, wenn es „autorisiert“ worden ist.
Was heißt autorisiert? Ganz einfach: Der Interviewte bekommt das Interview vorgelegt und bestätigt, dass er so gefragt worden ist und so geantwortet hat, wie es da steht. Es handelt sich also um eine Vereinbarung und eine Einigung zwischen Interviewer und Interviewtem.
Die Frage, wie authentisch ein Interview ist, hängt von beiden Seiten ab.
Haben sich vorher beispielsweise beide verabredet, nur über diese und jede Themen zu reden – wie ehrlich ist das noch, wenn der Leser nichts von einer solchen Verabredung erfährt?
Was, wenn der Interviewte die Vorlage nochmals sehr umfangreich überarbeitet und nur diese Überarbeitung autorisiert?
Was, wenn der Interviewer das Gespräch so formuliert, dass er alles, was problematisch im Gespräch war, so „weichspült“, dass es dem Interviewten gefällt?
Und überhaupt, wie „authentisch“ ist das Interview mit einer Person, die ständig Interviews gibt und einer, die das erste Interview in dessen Leben gibt? Was hat der Journalist hier zu berücksichtigen?
Hat der Interviewte einen „Coach“, der ihn auf das Interview vorbereitet? Der ihm sagt, wenn das gefragt wird, sagst Du das, sonst das? Kann der Interviewte das umsetzen?
Hat der Interviewer sich möglicherweise auch mit einem sehr großen Team sehr genau vorbereitet, kennt alle bisherigen Antworten und hat einen Plan ausgearbeitet, in welche Richtung er das Gespräch führen will?
Wie sind die rhetorischen Fähigkeiten auf der einen und der anderen Seite?
Wie arbeitet der Journalist? Ist er ein guter Schreiber, der möglichst authentisch Menschen zu Wort kommen lässt? Geht es ihm um wohlfeile Botschaften? Oder um Zuspitzung?
Hat der Interviewer bei der Transkription wirklich nur das geschrieben, was er gehört hat oder „hilft“ er dem Interviewten und formuliert besser, als es gesagt wurde?
Schreibt der Interviewer absolut brutal auf, wie sich jemand äußert und zeigt damit auf, dass der Gesprächspartner nicht in der Lage ist, zwei aufeinanderfolgende Sätze korrekt zu sagen? Oder stützt er den Gesprächspartner, indem er „übersetzt“, was der Interviewer meint, dass der Interviewte vermeintlich sagen wollte?
In welcher Verfassung befindet sich jemand, der ein Interview gibt? Ist die Person vorbereitet? Emotional ausgeglichen? Ist das Gegenüber krank, übermüdet?
Wie führt man ein Interview? In einem Fahrstuhl mit jemanden, der an Klaustrophobie leidet eher gar nicht oder als Experiment?
Wie führt der Interviewer das Gespräch? Ist er neutral? Ist er aggressiv? Gibt es mehrere Interviewer gegen oder für einen Interviewten?
Welche Haltung hat der Interviewer? Interessiert er sich für „die Wahrheit“? Sagt der Interviewte „die Wahrheit“?
Hochkomplexer Vorgang – aber niemals “die Wahrheit”
Haben Sie was gemerkt? Das Interview ist wie fast alle journalistischen Formen ein hochkomplexer Vorgang. Für beide Gesprächspartner. Mit vielen offenen Fragen, die sich zunächst gar nicht um die Inhalte drehen, sondern häufig um die Umgebung, die Zeit, den Ort, den Zustand, wie das Gespräch zwischen wem über was geführt wird.
Wesentlich ist dem Interview, dass es ein Gespräch ist. Mal gelungen, mal weniger gelungen. Mal interessant, mal weniger interessant.
Und es ist wie jede journalistische Arbeit immer nur eine Momentaufnahme. Es wird in keinem Interview dieser Welt jemals „alles“ gesagt. Ein Interview ist niemals „der Beweis“ für „die Wahrheit“, sondern immer nur ein Ausdruck.
Das Interview ist eine hochgradig künstliche Form im Journalismus. Also eine Kunstform. Das gelingt mal besser, mal schlechter.
Die Kunstform wirkt vermeintlich „authentisch“ – ob sie das ist? Mal mehr, mal weniger.
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Das sind unsere Regeln
Wir lassen Interviews nicht autorisieren, sondern schicken unseren Interviewpartnern unseren Text „zur Kenntnis und zur Freigabe“.
Damit hat der Interviewte die Möglichkeit, Kenntnis über das, was er gesagt haben soll, zu erhalten und einzuwilligen.
Wir räumen die Möglichkeit ein, falsche Informationen zu korrigieren. Sowohl falsch verstandene, als auch falsch genannte, weil vielleicht ein (nicht gewollt) faktischer Fehler durch den Gesprächspartner gemacht worden ist. Dies dient der „wahrhaftigen“ Unterrichtung des Lesers. Sollte es veränderte Formulierungswünsche geben, die begründet und sinnvoll sind, räumen wir das ebenfalls zur Prüfung ein. Ob wir uns damit einverstanden zeigen, hängt vom Einzelfall ab.
Selbstverständlich bearbeiten wir die mündlichen Aussagen und bereinigen Sie von Redundanzen, „Ähs“, Abschweifungen und anderen Eigenheiten mündlicher Kommunikation, um eine verschriftliche Fassung zu erstellen, die für den Leser, der das Gespräch nicht live erleben konnte, verständig erfassbar ist.
Möglicherweise finden sich aber auch „Ähs“ und Redundanzen oder andere Dinge in den Interviews wieder, weil dies geeignet ist, den Text „authentisch“ zu machen und dadurch zu „verlebendigen“.
Grundsätzlich informieren wir Gesprächspartner im Vorfeld über die Themen, über die wir reden wollen, aber niemals über einzelne Fragen. Das ermöglicht die faire Chance der Vorbereitung, aber auch “überraschende” Fragen. Manchmal führen wir auch schriftliche Interviews – das heißt, der Gesprächspartner bekommt die Fragen zugeschickt und kann sie dann beantworten. Diese Variante bietet sich immer dann an, wenn es vor allem um fachliche Dinge geht, die sehr präzise sein sollen. Häufig werden auch telefonische Interviews geführt – hier gelten dieselben Regeln wie beim Gespräch “Auge in Auge”.
Sehr wesentlich ist Fairness. Wir führen keine Verhöre, sondern immer nur Gespräche.
Wir veröffentlichen Interviews nur in gegenseitigem Einverständnis. Die Korrektur von Rechtschreibfehlern, die nach der Abstimmung erkannt werden oder sanfte Anpassungen, wenn klare „Fehler“ von beiden Seiten übersehen worden sind, behalten wir uns vor. Eine Korrektur unserer Fragen ist ausgeschlossen. Jeder inhaltliche Eingriff, der eine maßgebliche Veränderung darstellt, wird nochmals aus Gründen der Fairness vor Veröffentlichung „abgestimmt“.
Klar ist: Es gibt keine gesetzliche Regelung, wie Interviews zu führen und zu autorisieren sind. Im Ausland kennt man die Praxis der Autorisierung überwiegend nicht.