Rhein-Neckar, 07. März 2016. (red/pro) Die Welt ist im Umbruch. Die Machtverhältnisse sind es auch. Europaweit gibt es einen Rechtsruck – wer das wegreden will, dem kann man die Realitäten vorhalten, ob in Ungarn, Polen, Dänemark oder Frankreich. Und in Deutschland. Hessen hat kommunal gewählt und wie es ausschaut, gewinnen AfD und NPD schier unglaubliche Zustimmung. Die von der AfD so genannten “Alt-Parteien” verlieren ebenso wie die “Jung-Partei” Grüne. Noch sind die Demokraten an der Macht. Die Süddeutsche Zeitung sieht eine Abkehr von der Parteienwahl hin zur Personenwahl – doch das ist zu kurz analysiert.
Von Hardy Prothmann
Ich schätze Heribert Prantl als Autoren sehr. Aber er irrt – das kann uns allen passieren. Er hat niemals mit einem Bundesverfassungsrichter gekocht und die aktuell von ihm angebotene Suppe des Personenkults finde ich nicht appetitlich. Aber da gehe ich mit Herrn Prantl konform – das ist, was auf den Tisch kommt.
Als Konsument darf ich um meine Meinung gefragt werden – um das Produkt zu verbessern, das mir schmecken soll. Die aktuellen Entwicklungen schmecken mir gar nicht.
Ich verstehe, was er Herr Prantl meint. Aber es ist nicht bis zum Ende durchdacht.
Kein Mensch kann jemals alles richtig machen – aber genau das wird erwartet. Merkel ist CDU und CDU ist Merkel. Kretschmann ist Grün und Grün ist Kretschmann. Und Gabriel ist Gabriel, die SPD spielt neben ihm keine Rolle. Und die Parteien? Gibt es längst nicht mehr – es geht nur noch um Personenkult.
Ist das so einfach?
Ganz sicher nicht. Und doch hat Herr Prantl recht, wenn ich ihm auch nicht in der Argumentation folge.
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat allen Respekt verdient, den eine Regierungschefin im Auge einer globalen Krise braucht, um vernünftig und stark handeln zu können. Der AfD-Slogan “Merkel muss weg”, ist die personalisierte Abtreibung der demokratischen Debatte: “Mach das weg.”
Ausgerechnet dann, wenn es Macht und Durchsetzung braucht. Es ist nicht wichtig, ob man “Ziele” der AfD gut findet oder nicht – aktuell verhält sich die Partei als Zersetzungsorganisation im Innern. Die AfD gibt dem deutschen Volk keine Stärke, sondern schwächt das Land enorm.
Denn man “bekämpft” oder ordnet äußere Krisen niemals, indem man innere schürt. Wer sich so verhält, agiert verantwortungslos und schädlich für die Volksgemeinschaft.
Sie haben richtig gelesen, liebe Leserin und Leser. Das ist das erste Mal, dass Sie in einem redaktionellen Artikel beim Rheinneckarblog das Wort “Volksgemeinschaft” gelesen haben. Ich habe mich als Redaktionsleiter entschlossen, das Wort ab sofort zu besetzen, um es nicht anderen zu überlassen.
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Die Volksgemeinschaft in Deutschland sind wir alle, die wir hier leben. Die “Bio-Deutschen” (was auch immer das sein soll), die “Pass-Deutschen” (wie die rechtsextreme NPD Deutsche Staatsbürger aus anderen Ländern nennt) und die anderen ohne Bio und Pass, die Teil unserer Gemeinschaft und damit des Volks sind.
Herr Prantl hat Recht – er ist ein kluger Mann, Journalist und im früheren Leben Jurist. Aktuell suchen alle Führerfiguren, Personen, an denen man sich orientieren kann. Und er hat auch Recht, wenn er beklagt, dass etablierte Parteien in ihrer aktuellen Verfassung nicht mehr geeignet sind, Identität zu stiften.
Doch sein kluger Text hat eine Achillesverse. Die heißt AfD und in Hessen auch NPD. Und demnächst in drei anderen Bundesländern.
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Offenbar ereignet sich ein fundamentaler Umbruch. “Wählermilieus”, wie ich das als Student gelernt habe, sind keine mehr. Die Menschen orientieren sich an “Idolen” wie der Bundeskanzlerin Merkel oder dem Ministerpräsidenten Kretschmann. Parteipositionen spielen vermeintlich keine Rolle mehr – so Herr Prantl, so die Annahme.
Doch das ist falsch.
Belegt durch den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der AfD – hier gibt es keine “Ikonen”, sondern einerseits nur “Skandal-Nudeln” oder unbekannte Persönlichkeiten wie die Spitzenkandidaten Jörg Meuthen in Baden-Württemberg und Uwe Junge in Rheinland-Pfalz.
Wer AfD wählt – und das werden viele sein – wählt eben nicht einen Personenkult, sondern eine Partei. Und deren Programm oder das, was die Wähler davon mitbekommen haben.
Richtig ist, dass es einen Personenkult und gleichzeitig einen Richtungskult gibt. Eine gespaltene Gesellschaft, die hier Humanität und Staatsräson gut findet und die anderen, die diesen Repräsentanten nicht mehr folgen wollen – aus Prinzip.
Der Text von Herrn Prantl ist leider unvollständig – vielleicht hatte er auch nicht mehr Zeilen zur Verfügung, um detailliert zu argumentieren.
Ja, leider gibt es einen Personenkult. Und Nein, das ist nicht die Abkehr von Parteien ohne Kultfiguren, wie man aktuell klar feststellen kann.
Und ja – die Entwicklungen sind bedenklich, weil es immer weniger Konsens gibt und klare Mehrheiten fehlen, die das Land und die Gesellschaft verbinden.
Äußerst bedenklich ist, dass gerade dieses Deutschland, eine der stabilsten Demokratien weltweit, eine Wirtschaftsmacht, ein sicheres Land, sich geradezu fatal entwickelt.
Das hat auch mit “Personenkult” zu tun. Mit absolutem Egoismus. Und damit, dass man jeder Splittergruppe mehr Aufmerksamkeit zuteil werden lässt, als einem breiten Konsens. Damit, dass es Kräfte gibt, die jegliche demokratische Legitimation in Abrede stellen. Und leider auch genug Beispiele finden, um dies zu belegen.
Deutschland erlebt eine fundamentale Krise und muss sich entscheiden, ob man diese vernünftig oder im Kampf löst.
Aktuell stehen alle Zeichen nicht nur auf Kampf, sondern auf Krieg.
Das ist nicht nur bedenklich, sondern alarmierend.
Eigentlich sollte man meinen, es geht um Vernunft und gemeinschaftlichen Verstand und nicht um “persönliche Führerfiguren” – tatsächlich sind wir auch 2016 noch sehr weit weg von einer vernünftigen Gesellschaft.
Damit hat der Kollege Prantl Recht. Aber ich stimme ihm nicht gerne zu – vor allem nicht, weil es offenbar Parteien gibt, die ohne Vorbilder wie Frau Merkel aus dem Stand unglaubliche Wahlerfolge erzielen können.
Wenn Sie bis hier gelesen haben, Frau Merkel und Herrn Kretschmann Ihnen ein Begriff sind, dann beantworten Sie doch mal ganz flott, wer so die bekannten Namen von hessischen Kandidaten sind, die für die AfD oder andere Parteien angetreten sind.
Ups? Habe ich Sie überrascht?
Hessen war ein Beben – in drei Bundesländern wird am kommenden Sonntag gewählt. Und dann geht es um landespolitische Macht. Und viele Wähler werden nicht, wie Herr Prantl meint, “Kultpersonen” wählen, sondern ganz klar Parteien ohne Führerfiguren, aber mit einem Programm – ganz egal, wie beschränkt das ist.
Deutschland erlebt eine fundamentale demokratische Glaubenskrise – vor allem an sich selbst. Und das ist kein gutes Omen, um eine starke, wehrhafte Gesellschaft zu sein, die ihre Werte verteidigt. Auch, wenn das hart werden sollte.
Anm. d. Red.: Der Verfasser war noch niemals Mitglied einer politischen Partei, weil sich das nach seiner berufsethischen Auffassung mit einer hauptberuflichen Tätigkeit als Journalist nicht vereinbaren lässt. Der Verfasser ist kein “Fan” der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, sondern steht ihrer Politik sehr kritisch gegenüber, achtet die humanitäre Geste im Herbst 2015, kritisiert aber gleichzeitig die Folgen, wie umfangreiche Berichte belegen. Radikale Rücktrittsforderungen lehnt der Verfasser ebenso ab, wie systematisch destruktive Verleumdungen zum Schaden der deutschen Volksgemeinschaft, die nach Auffassung des Verfassers aus allen Menschen besteht, die in Deutschland nach Recht und Ordnung in Achtung des Grundgesetzes und hier insbesondere nach Artikel 1 zur Menschenwürde und im Sinne einer friedfertigen Gemeinschaft leben.
Anm. d. Red.: Unsere Kolumne Montagsgedanken greift außerhalb des Terminkalenders Themen auf – ob Kultur oder Politik, Wirtschaft oder Bildung, Gesellschaft oder Regionales oder Verkehr. Teils kommen die Texte aus der Redaktion – aber auch sehr gerne von Ihnen. Wenn Sie einen Vorschlag für Montagsgedanken haben, schreiben Sie bitte an redaktion (at) rheinneckarblog.de, Betreff: Montagsgedanken und umreißen uns kurz, wozu Sie einen Text in der Reihe veröffentlichen möchten. Natürlich fragen wir auch Persönlichkeiten an, ob sie nicht mal was für uns schreiben würden…