Mannheim, 07. April 2016. (red/ms) Die Ausgaben der Stadt Mannheim steigen schneller als ihre Einnahmen. Langfristig muss es hier strukturelle Veränderungen geben, damit die Stadt finanziell handlungsfähig bleiben kann. Ein Baustein im Konzept der Kommunalpolitik ist dabei die Wirtschaftsförderung – und in diesem Bereich gebe es sehr viele erfreuliche Entwicklungen, sagt Wirtschafts- und Kulturbürgermeister Michael Grötsch (CDU) bei der Präsentation des Jahresberichts. Doch bis alle Investitionen Früchte tragen, kann es noch Jahrzehnte dauern.
Von Minh Schredle
Dass Mannheim in finanziellen Schwierigkeiten steckt, ist kein Geheimnis. Mittelfristig wird die Stadt bei den Leistungen, die sie freiwillig anbietet, schmerzhafte Streichungen vornehmen müssen. Was genau davon betroffen sein wird, ist noch unklar: Es könnten beispielsweise Schwimmbäder sein oder Kultureinrichtungen – darüber werden Gemeinderat und Bürgermeister noch debattieren müssen.
Das wesentliche Problem in den Stadtfinanzen ist, dass die laufenden Kosten schneller ansteigen als die Einnahmen. Demnach bleibt zunehmend weniger Freiraum für Investitionen. Diese sind aber essenziell für die Entwicklung einer Stadt. Denn einerseits erhalten sie den Bestand, etwa indem Straßen und Schulen saniert werden. Andererseits schaffen sie neue Anreize und erweitern das Angebot.
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Beides dient einem gemeinsamen Ziel: Mannheim soll als Stadt attraktiv sein. Sowohl für die Wirtschaft, aber ganz besonders für ihre Bewohner. Daraus ergibt sich zwangsläufig ein Dilemma, denn es entstehen Flächenkonflikte: Das Territorium einer jeden Stadt ist begrenzt. Und je mehr Raum der Wirtschaft gegeben wird, desto weniger bleibt den Bewohnern. Damit die Lebensqualität aber überhaupt auf einem hohen Niveau gesichert werden kann, braucht es Einnahmen – und davon gibt es als Faustregel vor allem dann viel, wenn der Wirtschaft viel Raum geboten wird.
Die zur Verfügung stehenden Flächen also bestmöglich zu nutzen, muss Aufgabe und Ziel einer verantwortlichen Kommunalpolitik sein – klar ist aber auch, dass hier keine Einigungen ohne Streit zustande kommen können. Dabei verursachen allerdings leider häufig vergleichsweise unbedeutende Details einen ideologischen Kleinkrieg zwischen den Parteien, der in einem Schaden für das große Gesamte resultiert – und das ist die langfristige Stadtentwicklung.
Zukunftssicherung
Eigentlich gibt es bei den zentralen Fragen aber einen breiten Konsens: Unter großer Einigkeit hat sich der Gemeinderat auf neun Wirkungsziele für die wirtschaftliche Entwicklung geeinigt. Diese bilden die Grundlage für die Arbeit des Fachbereichs “Wirtschafts- und Strukturförderung”, der 2012 ins Leben gerufen worden ist und dabei helfen soll, die Zukunft des Standorts Mannheim zu sichern.
Aktuell stellte Michael Grötsch, Bürgermeister für Kultur und Wirtschaft, gemeinsam mit einigen städtischen Mitarbeitern die Arbeitsergebnisse des vergangenen Jahres vor – und die können sich durchaus sehen lassen, denn in den allermeisten Bereiche weist der Trend in eine erfreuliche Richtung.
Rekordergebnisse
Mit gut 180.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Mannheim sei der höchste Wert seit 20 Jahren erreicht, teilt der Bürgermeister mit. Parallel dazu sei auch die Arbeitslosenquote gesunken und liege nun bei etwa 5,5 Prozent – das ist der niedrigste Stand seit 25 Jahren.
Laut Dr. Wolfgang Miodek, dem stellvertretenden Fachbereichsleiter für Wirtschaftsförderung, hätten Unternehmen außerdem noch nie so viel in Mannheim investiert wie im vergangenen Jahr – teils handle es sich um mehrstellige Millionenbeträge. Er kommt zu dem Fazit:
2015 war das Jahr der Investitionen.
Vieles davon sei zwar heute angelegt – würde aber erst morgen seine volle Wirkung zeigen, sagt Dr. Miodek. Bei der Wirtschaftsförderung müsse man langfristig denken.
Langfristige Konzepte
Zur gleichen Einschätzung kommt auch Bürgermeister Grötsch, der die Fördermaßnahmen mit einer Saat vergleicht, deren Früchte gerade noch heranreifen würden. Dabei betont er ganz klar:
Ja, das dauert seine Zeit.
Um Erfolge zu ernten, sind die Anstrengungen jedenfalls schon heute gewaltig: Allein im vergangenen Jahr wurden vier Gründungszentren eröffnet, die insbesondere kleinere Startups unterstützen sollen. Im Jahresbericht heißt es dazu erläuternd:
Wirft man einen Blick in die Innovationsstatistik des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), so erkennt man, dass sich in den letzten Jahren eine stärker werdende Zweiteilung herausbildet. Große Unternehmen investieren zunehmend in neue Technologien, in Forschung, Entwicklung und Innovationen. Die Summe der kleinen und mittleren Unternehmen hat zunehmend Schwierigkeiten, diesem Innovationstempo zu folgen.
Die Stadt Mannheim will offenbar zunehmend auf unternehmerische Vielfalt setzen – denn wie riskant und unberechenbar es sein kann, sich vorwiegend auf ein paar wenige Großkonzernene oder gar Global Playern zu verlassen, sah man in junger Vergangenheit nur allzu deutlich an Beispielen wie XXXL Lutz oder GE/Alstom: Wenn die Produktion plötzlich aus Kostengründen verlagert wird, kann das auf einen Schlag hunderte von Arbeitsplätzen kosten und einen schweren Schaden für die Region bedeuten – einer Stadt sind bei einer solchen Entscheidung meist die Hände gebunden.
Bürgermeister Grötsch kommt mit großem Bedauern auf diese Stellenverluste zu sprechen. Es handle sich um einen schweren Schlag für die Region und vor allem für die betroffenen Angestellten. Allerdings betonte er ebenfalls, dass er dadurch nicht die wirtschaftliche Zukunft des Standort Mannheims bedroht sehe. Selbstbewusst sagt er sogar:
Mannheim ist der Top-Wirtschaftsstandort in der Metropolregion Rhein-Neckar.
Im vergangenen Jahr sei die Zahl der ansässigen Betriebe in Mannheim auf 8.738 Unternehmen gewachsen. Auch dabei handle es sich um ein bislang unerreichtes Rekordhoch.
Mischung ist erstrebenswert
Eine absolute Zahl von Unternehmen ist zunächst nur wenig aussagekräftig – denn die sagt nichts über deren Größe und Gewerbesteuerabgaben aus. Im Zweifel schafft ein einzelner Konzern tausende Arbeitsplätze und zahlt Steuernbeträge in Millionenhöhe, während 200 Kleinstbetriebe mit je drei Angestellten gar nicht genug Gewinn erzielen, um überhaupt Abgaben leisten zu müssen. Von den knapp 9.000 Unternehmen in Mannheim beschäftigen gut 6.500 höchstens neun Mitarbeiter.
Grundsätzlich kann es aber dennoch nur erstrebenswert sein, für große Vielfalt zu sorgen – denn das gewährt Unabhängigkeit von Einzelinteressen. Ein Beispiel: Ludwigshafen ist schon jetzt eine der verschuldetsten Städte Deutschlands. Man stelle sich als Szenario vor, die BASF würde den Standort aufgeben und zehntausende Arbeitsplätze gingen verloren – die Stadt würde sich von diesem Schlag nicht mehr erholen können.
Auch Mannheim ist auf die Gunst einiger Großbetriebe angewiesen – das ist aber kein Grund, sich ausschließlich darauf zu verlassen. Insgesamt gibt es acht Gründungszentren, die jeweils auf bestimmte Branchen spezialisiert sind. Als besonders vielversprechend gilt das “CUBEX 41” für Medizintechnologie – hier rechnet die Stadt mit riesigen Entwicklungspotenzialen.
Ebenfalls geradezu sinnbildlich für die Wirtschaftsförderung ist die Eröffnung des C-Hubs im Jungbusch, das als Gründungszentrum für die Kreativwirtschaft jungen Künstlern als Anlaufstelle dienen soll und Räumlichkeiten vermietet.
Ein Ziel sei es auch, Fachkräfte an die Region zu binden, erläutert Christiane Ram, die Fachbereichsleiterin für Wirtschaftsförderung. Daher sei es wichtig, schon im Studium Schnittstellen zur regionalen Wirtschaft zu schaffen.
Ein bedeutender Baustein im Gesamtkonzept sei auch das Netzwerk “smart Produktion”, mit dem Potenziale verschiedener Akteure – “vom innovativen Start-up über den produzierenden Mittelstand und Hochschulen bis hin zu Global Playern aus der Region” gebündelt werden sollen.
Alle Akteure berücksichtigen
Wichtig sei es, eine ausgeglichene Mischung zu schaffen, sagt Frau Ram. So müsse das Ziel sein, nicht nur für einzelne, sondern für alle Akteure in der Region Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine positive wirtschaftliche Entwicklung begünstigen können.
So wolle man für Wachstum neue Unternehmen für die Region gewinnen, aber auch die bereits ansässigen nicht vernachlässigen.
Klar ist jedenfalls: Dem Haushalt der Stadt würden zusätzliche Einnahmen nicht schaden. Bürgermeister Grötsch spricht sich daher dafür aus, etwa 50 Hektar für die Ansiedlung von zusätzlichem Gewerbe freizuhalten.
Mit den frei gewordenen, beziehungsweise freiwerdenden Konversionsflächen sei das laut Herrn Grötsch “nicht so viel” – und dennoch dürfte um diesen Raum hart gekämpft werden. Denn jeder Quadratmeter zählt.
Flächenkonflikte sind unvermeidbar
Im Stadtbereich selbst hat Mannheim kaum noch freie Flächen zur Verfügung. Und für die finanzielle Lage wäre nicht nur mehr Gewerbe bedeutend – sondern auch mehr Wohnraum: Die Stadtverwaltung will Einwohner gewinnen. Doch es gibt kaum Leerstand und die Entwicklungschancen, Neubaugebiete im Innenbereich sind vergleichsweise sehr gering.
Es muss also gelingen, hier Kompromisse zu finden. Bürgermeister Grötsch kündigte an, man werde darauf achten, pro Quadratmeter Gewerbefläche möglichst viele Arbeitsplätze zu schaffen. Das dürfe aber nicht das alleinige Kriterium sein, denn für ihn stehe fest:
Keine Ökonomie ohne Ökologie.
Herr Grötsch signalisiert also deutlich die Bereitschaft, gemeinsam und im Dialog Konzepte für Mannheims Zukunft zu entwickeln. Die präsentierte Strategie zur Wirtschaftsförderung und deren Ergebnisse wirken jedenfalls schlüssig und vielversprechend – und das ist vor dem Hintergrund der Haushaltszahlen auch bitter nötig, wenn die Stadt finanziell handlungsfähig bleiben will.
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